Franz Eberhof 05 - Sauerkrautkoma
Augen aus dem Fenster. Echt miese Stimmung hier. Ich räuspere mich kurz, steh auf und geh rüber zur Kaffeemaschine. Während ich die Tassen fülle, schnauf ich ein paarmal tief durch. Das hasse ich wirklich an meinem Beruf. Todtraurige Menschen noch viel todtrauriger machen zu müssen. Aber es hilft alles nix. Also stell ich ihnen die Kaffeehaferl vor die Nase, und diese werden gleich dankbar angenommen. Wahrscheinlich tut’s einfach gut, wenn man sich irgendwo festhalten kann. Selbst wenn es nur ein Kaffeehaferl ist.
»Die Branka«, versuch ich behutsam zu beginnen. Aber nur die Erwähnung ihres Namens löst bei der Mutter einenmittelschweren Zusammenbruch aus. »Entschuldigen Sie bitte, Frau Ibranovic. Aber wenn wir den Mörder finden wollen, dann muss ich jetzt diese Fragen stellen.«
Sie nickt und schnäuzt in ein Taschentuch.
»Also, die Branka, hatte die irgendwelche privaten Kontakte hier in München? Wissen Sie irgendetwas darüber?«
»Nein, Herr Kommissar«, sagt der Onkel mit fester Stimme. »Sie hatte niemanden hier, soweit wir wissen. Die Familie Dettenbeck, das waren ja nur ihre Arbeitgeber, nicht mehr und nicht weniger. Und ihre Kollegin, diese …«
»Frau Schneller«, helf ich ihm auf die Sprünge.
»Ja, also diese Frau Schneller, ich glaub, die war wohl nicht so gut zu sprechen auf unsere Branka. Jedenfalls hat sie es selber so empfunden.«
Gut, das wissen wir ja bereits.
»Sonst hat sie nichts erzählt? Irgendeine Stammkneipe vielleicht? Freundinnen? Ein junger Mann womöglich? Oder was junge Mädchen eben alles so machen«, frag ich.
Die beiden Männer schauen sich kurz an, wenden aber die Blicke gleich wieder ab.
»Nein, keine Kneipe, keine Disco. Nichts in der Art. Sie müssen wissen, die Branka war kein gewöhnliches junges Mädchen. Sie war sehr familienbezogen, verstehen Sie. Und sie ist in jeder freien Minute zu uns nach Hause gefahren«, sagt der Onkel. Die Mutter weint noch immer.
»Sie war ja auch erst seit kurzem in München, wissen Sie. Und unsere Branka, die war ja eher schüchtern. Die hat immer etwas Zeit gebraucht, ehe sie jemanden an sich ranließ«, sagt jetzt ihr Vater, und die beiden anderen nicken zustimmend.
»Na gut«, sag ich und mach mir ein paar Notizen. »Und wie ist es in Leipzig gewesen? Hatte sie dort wenigstens Freunde oder eine Clique? Einen festen Freund vielleicht?«
»Nein, nicht wirklich. Jedenfalls nichts, was erwähnenswert wäre, Herr Kommissar«, sagt jetzt der Onkel wieder. »Sie war, wie gesagt, eigentlich immer schon ein bisschen scheu, unsere Branka. Aber diese lange Zeit der Arbeitslosigkeit, die hat sie dann im Grunde komplett isoliert. Ihre ehemaligen Schulkameraden, die waren ja fast allesamt berufstätig. Und die, die es nicht waren, das war halt nicht die Sorte Mensch, die sie gerne um sich hatte, wenn Sie wissen, was ich meine. Nein, ich denke, sie war sehr zufrieden, wenn sie einfach nur bei ihrer Familie war.«
Die arme Frau kriegt jetzt einen Weinanfall, einen ganz verheerenden, und so muss ich die Befragung hier abbrechen. Deshalb schlage ich vor, die Eltern mögen kurz draußen warten, bitte aber den Onkel, noch einen Moment hierzubleiben.
»Herr Ibranovic«, sag ich, wie wir schließlich unter vier Augen sind. »Ihre Nichte, die war zweiundzwanzig. Und sie war schwanger. Irgendjemand muss doch der Kindsvater sein. Haben Sie eine Ahnung, wer da infrage kommen könnte?«
Mit einem Blick ins Leere nickt er einige Male und scheint intensiv nachzudenken. Ob das Nicken ein »Ja, ich weiß, wer der Kindsvater sein könnte« bedeuten soll oder nicht, kann ich nicht so recht ausmachen.
»Hat es denn früher einmal jemanden gegeben? Ich meine, das wär doch völlig normal in diesem Alter.«
»Sie hatte schon mal einen Freund, Herr Kommissar, aber das ist schon länger her. Ein kleiner Franzose war das. Gérald hieß er, soweit ich mich erinnere. Ein Austauschschüler. Sie war damals sechzehn oder siebzehn. Über ein Jahr lang ging das zwischen den beiden so hin und her. Telefonisch und per Mail. Und einige Male haben sie sich auch besucht gegenseitig. Sie hat damals sehr gut Französisch gesprochen, diekleine Branka, und das passte so gut zu ihr. Aber wie das Leben so spielt, irgendwann ist das Ganze dann eingeschlafen. Es ist wohl von dem Jungen ausgegangen. Jedenfalls ist sie eine ganze Weile sehr unglücklich darüber gewesen. Aber irgendwie konnte das ja auch gar nicht gut gehen, oder? Bei dieser Entfernung.«
»Denken Sie,
Weitere Kostenlose Bücher