Franz Eberhof 05 - Sauerkrautkoma
singt er mir in den Hörer.
»Es ist halb sechs, Rudi. Ich lieg noch im Bett und hab noch nicht einmal gefrühstückt.«
»Ich lieg nicht mehr im Bett, und auf Frühstück hab ich sowieso keine Lust. Zumindest nicht auf dieses hier. Also was ist jetzt, kommst du oder nicht?«
Ja, ja, sag ich noch. Bin quasi schon auf dem Weg.
Nach einer ausgiebigen Dusche und einem reichhaltigen Frühstück bin ich dann auch schon gleich unterwegs. Und trotzdem ist er schon wieder leicht beleidigt, der Rudi. Weil ich halt jetzt nicht in Schallgeschwindigkeit hier eingetroffen bin und er mal wieder auf mich warten musste. Ich komm erst gar nicht dazu, dagegenzureden, weil dann halt schon wieder was Neues passiert. Und zwar mit dem Anruf vom Papa. Der Leopold, der muss nämlich unbedingt sofort in seine dämliche Buchhandlung zurück, weil dort praktisch alles drunter und drüber geht. Und genau aus diesem Grund wird er ab sofort wieder in seinen eigenen Betten nächtigen, einfach schon aus entfernungstechnischen Gründen heraus. Im Gegenzug aber werden seine zwei Mädchen auf den Hof kommen, weil Ehekrise ist Ehekrise. Und so was ist eben nicht von jetzt auf gleich vorbei, nicht wahr. Und nun will der Papa halt wissen, ob ich denn abends zum Essen heimkommen möchte. Praktisch, weil ja die Luft nun wieder rein ist sozusagen. Mein Bedürfnis, die Panida und den Zwerg Nase endlich wieder einmal zu sehen, ist relativ groß, und deshalb gebe ich auch gleich meine abendliche Anwesenheit bekannt. Dann leg ich auf.
»Du willst mich doch heute nicht alleine lassen, Franz!«, wimmert der Rudi aus seinem Autositz raus. »Gerade heute, wo ich doch noch so wackelig auf den Beinen bin. Was ist, wenn mir was passiert, hä? Wenn’s mir schlecht wird zum Beispiel? Oder ich umkippe? Wann wird man mich finden? Manche Menschen liegen ja wochenlang tot in ihrer Wohnung,bevor man sie dann endlich findet. Grade so in der Großstadt. Das stell ich mich furchtbar vor. Ja, richtiggehend furchtbar. Du liegst da, sagen wir, so in der Diele, kannst dich nicht bewegen, auch nicht schreien. Ja, du liegst einfach nur so da, womöglich sogar noch in deinen Ausscheidungen, und kriegst kaum noch Luft. Dann hörst du plötzlich Schritte im Treppenhaus, und ein Hoffnungsschimmer keimt in dir hoch. Diese Schritte aber gehen einfach so an deiner Wohnungstür vorbei, und du …«
»Schon gut, Birkenberger! Ich hab dich verstanden«, sag ich, rufe den Papa zurück und kündige dem Rudi seine abendliche Anwesenheit ebenfalls an.
Gleich darauf kommt ein Anruf vom Günter. Ich sags ja, es geht Schlag auf Schlag. Kaum in der Gerichtsmedizin angekommen, wird’s dem Rudi jetzt tatsächlich schlecht und schwindelig. Der Günter gibt ihm ein paar Kekse aus Biskuit und sagt, die kann er problemlos essen. So hockt der Rudi also erst ein Weilchen wie verreckt am Schreibtisch vom Günter und lutscht ziemlich freudlos auf diesen Stäbchen herum. Danach liegt er auf einem Seziertisch und hat die Beine angezogen. Für mich persönlich ist die Situation aber jetzt ehrlich gesagt gar nicht so freudlos, weil er sich somit wenigstens nicht einmischen kann, der Birkenberger.
Der Günter kommt auch gleich zum Punkt und berichtet, was er alles so rausgefunden hat. Und das ist gar nicht so wenig. Zum einen hat er nämlich rausgefunden, dass der Damian tatsächlich der Kindsvater ist. Und das mit ziemlich hoher, wenn nicht eindeutiger Wahrscheinlichkeit. Gut, da hatten wir ja bereits so eine Ahnung, gell. Dann aber hat er noch rausgefunden, dass neben den üblichen Medikamenten, die jeder so zu Hause hat, tatsächlich eine Packung dabei war mit diesen ominösen Abtreibungspillen. Klugerweise hat der Rudi das Foto so gemacht, dass man das Verfallsdatum daraufganz prima lesen kann. Und dieses ist bereits deutlich überschritten. Also entweder hat man dem armen Kind ein abgelaufenes Medikament untergejubelt, oder aber es war gar nicht für sie bestimmt. Sondern für eine Schwangerschaft, die schon viel länger zurückliegt. So erzählt er das alles, der Günter. Danach gibt er mir die Bilder zurück und sagt, dass er jetzt leider wieder im Stress ist. Also verabschiede ich mich und geh. Erst kurz vorm Auto schreit mir der Birkenberger hinterher. Verdammt! Den hätte ich beinah vergessen. Jetzt ist es aber vollkommen aus mit der Freundschaft. Vermutlich gibt es keine einzige Frau auf der Welt, die so einen auf beleidigt machen kann wie der Rudi. Er redet kein Wort mehr mit mir. Schaut nur
Weitere Kostenlose Bücher