Franzen, Jonathan
Ganze
hat so was reaganhaft Regressives», sagte Merrie. «Sie hat gedacht, sie könnte
in ihrer kleinen Luftblase leben, sich ihre eigene kleine Welt erschaffen. Ihr
eigenes kleines Puppenhaus.»
Der Anbau,
der während der nächsten neun Monate Wochenende für Wochenende aus Carols
Garten-Schlammloch emporwuchs, glich einem gigantischen Bootsschuppen, dessen
mit Acryl verkleidete Außenwände von drei schlichten Fenstern durchbrochen
waren. Carol und Blake bezeichneten den Anbau
als «Mehrzweckraum», ein Konzept, das in Ramsey Hill bis
dato keine Vorläufer hatte. Nach der Zigarettenkippenkontroverse hatten die
Paulsens einen hohen Zaun gezogen und eine Reihe von Zierfichten gepflanzt, die
inzwischen groß genug geworden waren, um Merrie und Seth von dem Anblick
abzuschirmen. Nur die Berglund'schen Sichtachsen blieben unverstellt, und Patty
war schon bald derart auf den von ihr so genannten «Hangar» fixiert, dass die
anderen Nachbarn dem Gespräch mit ihr aus dem Weg gingen, was sie vorher nie
getan hatten. Sie winkten ihr von der Straße aus zu und riefen einen Gruß,
hüteten sich aber, stehenzubleiben und sich in eine Diskussion verwickeln zu
lassen. Die berufstätigen Mütter waren sich einig, dass Patty zu viel Zeit
hatte. Früher, im Umgang mit den kleinen Kindern, denen sie Sportunterricht
gegeben und Haushaltsfertigkeiten beigebracht hatte, war sie phänomenal
gewesen, aber jetzt waren fast alle Kinder in der Straße groß. Ganz gleich,
womit Patty ihre Tage auszufüllen suchte, immer blieb sie in Sicht- oder
Hörweite der Bautätigkeiten nebenan. Alle paar Stunden kam sie aus ihrem Haus,
lief im Garten auf und ab und spähte zum Mehrzweckraum hinüber wie ein Tier,
das in seinem Nest gestört worden ist, und manchmal ging sie am Abend hinüber
und klopfte an die provisorische Sperrholztür.
«Hallo,
Blake, wie geht's, wie steht's?»
«Danke,
bestens.»
«Das hört
man! Also ehrlich, weißt du was - die Skilsäge da ist für halb neun Uhr abends
ziemlich laut. Was hältst du davon, für heute Schluss zu machen?»
«Nicht
sehr viel, offen gesagt.»
«Und was
ist, wenn ich dich darum bitten würde?»
«Keine
Ahnung. Wie wär's, wenn du mich meine Arbeit machen lässt?»
«Das würde
mir überhaupt nicht passen, weil der Lärm uns nämlich enorm stört.»
«Tja,
also, weißt du was? Pech.»
Patty gab
ein lautes, unwillkürliches, wieherndes Lachen von sich. «Hahaha! Pech?»
«Ja. Also,
hör mal zu, das mit dem Lärm tut mir leid. Aber Carol sagt, ihr habt bei der Renovierung eures Hauses ungefähr fünf Jahre
lang Lärm gemacht.»
«Hahaha.
Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich je beklagt hätte.»
«Ihr habt
getan, was ihr tun musstet. Jetzt tue ich, was ich tun muss.»
«Aber was
du da tust, ist richtig hässlich. Tut mir leid, aber es sieht grauenhaft aus.
Einfach - scheußlich und grauenhaft. Im Ernst. Anders kann man es nicht nennen.
Aber darum geht's hier gar nicht. Es geht um die Skilsäge.»
«Du stehst
auf einem Privatgrundstück und solltest jetzt besser gehen.»
«Na schön,
dann werde ich wohl die Polizei rufen.»
«Meinetwegen,
nur zu.»
Danach
konnte man sie, zitternd vor Wut, den Gartenweg auf und ab laufen sehen. Sie
rief tatsächlich wiederholt die Polizei, und ein paarmal kamen die Beamten auch
und knöpften sich Blake vor, aber bald waren sie es leid, von ihr zu hören, und
tauchten erst im folgenden Februar wieder auf, als jemand die schönen neuen Winterreifen
von Blakes F-25oer zerstochen hatte, alle vier, und Blake und Carol die Beamten an ihre Nachbarin verwiesen, von der telefonisch so oft
Beschwerden eingegangen waren. Das wiederum führte dazu, dass Patty erneut
straßauf, straßab von Tür zu Tür ging und Schimpftiraden vom Stapel ließ. «Die
offenkundige Verdachtsperson, ja? Die Mutter zweier halbwüchsiger Kinder von
nebenan, ich, eine Schwerverbrecherin, ja? Ich, eine Verrückte! Er hat den
größten, hässlichsten Wagen in der ganzen Straße, mit Aufklebern dran, die so
ungefähr jeden beleidigen, der kein weißer Bassist ist, aber mein Gott, wie
mysteriös, wer außer mir könnte ihm wohl die Reifen zerstochen haben wollen?»
Merrie Paulsen war davon überzeugt, dass der Reifenzerstecher Patty war.
«Ich kann
mir das nicht vorstellen», sagte Seth. «Klar, offensichtlich leidet sie, aber
sie ist doch keine Lügnerin.»
«Mag sein,
aber ich habe sie auch nie ausdrücklich sagen hören, dass sie es nicht gewesen
ist. Hoffentlich hat sie einen
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