Franzen, Jonathan
und er verlangt ja nicht mehr, als dass Joey zum Abendessen kommt und
in seinem eigenen Bett schläft und ein Teil der Familie ist. Und Joey
daraufhin: , was er ja im Übrigen
nie bestritten hat. Aber Walter stampft durch die Küche, ein paar Sekunden lang
habe ich wirklich gedacht, er schlägt gleich zu, aber er ist bloß total aus der
Fassung, er brüllt: RAUS HIER, RAUS HIER, ICH BIN ES LEID, RAUS HIER, und dann
ist er weg, und man hört ihn oben in Joeys Zimmer
Schubladen aufreißen oder so was, und Patty rennt hinterher, und sie schreien
sich an, und Connie und ich
nehmen Joey in den Arm, weil er der einzige Vernünftige in dieser Familie ist
und uns so leidtut, und in dem Moment bin ich überzeugt, dass es das Richtige
für ihn ist, bei uns einzuziehen. Walter kommt die Treppe wieder
runtergestampft, und wir hören Patty schreien wie eine Irre - jetzt ist sie es,
die total die Fassung verloren hat -, und Walter fängt wieder an zu brüllen:
SIEHST DU, WAS DU DEINER MUTTER ANTUST? Denn es dreht sich alles nur um Patty,
versteht ihr, immer muss sie das
Opfer sein. Und Joey steht bloß da und schüttelt den Kopf, weil die Situation
so eindeutig ist. Warum sollte er in so einem Haushalt wohnen wollen?»
Obwohl
manche Nachbarn zweifellos Genugtuung daraus zogen, dass Patty mit all dem Wind
um ihren außergewöhnlichen Sohn Sturm geerntet hatte, änderte das an den
Tatsachen letztlich wenig: Carol Monaghan
war in der Barrier Street
noch nie beliebt gewesen, Blake wurde weitgehend abgelehnt, Connie fanden die meisten unheimlich, und Joey hatte keiner je recht über den
Weg getraut. Als sein Aufstand sich herumsprach, überwogen unter den Bürgern Ramsey Hills das Mitleid für Walter, die Sorge um Pattys seelische Verfassung sowie ein überwältigendes Gefühl der
Erleichterung, ja der Dankbarkeit dafür, wie normal die eigenen Kinder waren -
wie vorbehaltlos sie sich über elterliche Großzügigkeiten freuten, wie
bereitwillig sie sich bei ihren Hausaufgaben oder College-Bewerbungen helfen
ließen, wie brav sie telefonisch Bescheid gaben, wenn sie nach der Schule nicht
gleich nach Hause kamen, wie offenherzig sie von ihren kleinen Alltagsnöten
erzählten und wie beruhigend vorhersehbar ihre Erfahrungen mit Sex und Gras und
Alkohol waren. Das Elend, das dem Berglund'schen Haus entströmte, war ein Fall
für sich. Walter - der, wie man nur hoffen konnte, von Carols Geschwätz über
den Abend, an dem er «die Fassung verloren hatte», gar nichts wusste - gab
verschiedenen Nachbarn gegenüber verlegen zu, er und Patty seien als Eltern
«gefeuert» worden und täten ihr Bestes, es nicht persönlich zu nehmen.
«Manchmal kommt er zum Lernen rüber», sagte Walter, «aber im Moment scheint er
sich wohler zu fühlen, wenn er bei Carol übernachtet.
Wir werden ja sehen, wie lange noch.»
«Und wie
verkraftet Patty das alles?», fragte Seth Paulsen nach.
«Nicht
gut.»
«Wir
hätten euch so gern bald mal wieder zum Abendessen bei uns.»
«Das wäre
schön», sagte Walter, «aber ich glaube, Patty fährt jetzt erst mal für eine
Weile ins Haus meiner Mutter. Sie ist ja dabei, es zu renovieren.»
«Ich mache
mir Sorgen um sie», sagte Seth mit einem kleinen Aussetzer in der Stimme.
«Ja, ich
mir auch ein bisschen. Aber ich habe sie schon trotz Schmerzen weiterspielen
sehen. Am College hat sie sich mal eine böse Knieverletzung zugezogen und noch
zwei Spiele durchgehalten.»
«Aber
hatte sie dann nicht eine Operation, die, ahm, ihre Karriere beendet hat?»
«Seth, ich
wollte damit vor allem sagen, wie zäh sie ist. Dass sie auch unter Schmerzen
weiterspielen kann.»
«Klar.»
Walter und
Patty schafften es nie zu einem Essen bei den Paulsens. Patty verkroch sich
über weite Strecken des Winters und Frühlings am Namenlosen See, fern von der Barrier Street, und selbst wenn ihr Auto in der Einfahrt stand - in der
Weihnachtszeit zum Beispiel, als Jessica vom College nach Hause kam und, ihren
Freunden zufolge, einen «mordsmäßigen Streit» mit Joey hatte, der dazu führte,
dass Joey mehr als eine Woche in seinem alten Zimmer schlief und seiner
formidablen Schwester das traditionelle Weihnachtsfest bescherte, das sie sich
wünschte -, mied Patty die Nachbarschaftstreffen, bei denen ihr Gebäck und ihre
Freundlichkeit einst so willkommene feste Größen gewesen waren. Gelegentlich
sah man sie Besuch von etwa vierzigjährigen Frauen empfangen, ihren Frisuren
sowie den Aufklebern an
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