Franzen, Jonathan
neuen Sound hörte oder auf den
Straßen von Lower Manhattan
eine junge Tusse sah, die jemandes Leben verändern würde; doch dass dieser
Jemand er sein könnte, daran glaubte er nicht mehr.
Dann kam
ein bitterkalter Donnerstagnachmittag, der Himmel ein einförmiges Grau,
leichter Schneefall, der den Negativraum der städtischen Skyline weniger
negativ machte, das Woolworth Building und dessen Märchentürme verschlierte
und mit sanfter, die Bewegung der Luft sichtbar werden lassender Neigung
Richtung Hudson und hinaus auf den dunklen Atlantik fiel und Katz von dem
Geschiebe der Fußgänger und Autos vier Stockwerke unter ihm entfernte. Der
Matsch auf den Straßen hob hübsch den Diskant des zischenden Verkehrs und
neutralisierte weitgehend seinen Tinnitus. Er fühlte sich doppelt umhüllt, vom
Schnee und seiner körperlichen Arbeit, wenn er die WPC-Platten schnitt und in
die kniffligen Räume zwischen drei Schornsteinen einpasste. Aus Mittag wurde
Dämmerung, ohne dass er auch nur einmal an Zigaretten gedacht hätte, und da die
Zeit zwischen zwei Zigaretten gegenwärtig die Einheit war, mit der er die Tage
in mundgerechte Bissen unterteilte, hatte er das Gefühl, dass den Verzehr
seines Mittagssandwiches und das jähe, unwillkommene Auftauchen Zacharys keine
Viertelstunde trennte.
Der Junge
trug einen Kapuzenpulli und eine jener tief hängenden engen Hosen, die Katz
erstmals in London aufgefallen waren. «Wie findest du Tutsi Picnic?», sagte er.
«Stehst du auf die?»
«Kenn ich
nicht», sagte Katz.
«Echt!
Nicht zu fassen.»
«Und
dennoch ist es die Wahrheit», sagte Katz. «Und die Flagrants? Sind die nicht
der Wahnsinn? Dieses 37-Minuten-Stück?»
«Hatte
noch nicht das Vergnügen.»
«Hey»,
Zachary ließ sich nicht entmutigen, «was hältst du von diesen psychedelischen
Houstoner Bands, die Ende der Sechziger bei Pink
Pillow aufgenommen haben? Der Sound von denen erinnert mich
teilweise an eure frühen Sachen.»
«Ich
brauche das Teil, auf dem du stehst», sagte Katz.
«Ich
dachte, manche von denen könnten euch beeinflusst haben. Besonders Peshawar Rickshaw.»
«Wenn du
mal kurz den linken Fuß hebst.»
«Hey, kann
ich dich noch was fragen?»
«Und diese
Säge macht gleich Lärm.»
«Bloß eine
Frage noch.»
«Na gut.»
«Gehört
das zu deinem musikalischen Prozess? Wieder in den alten Job zurückgehen?»
«Darüber
habe ich noch gar nicht nachgedacht.»
«Weil
nämlich meine Freunde in der Schule fragen. Denen hab ich gesagt, das ist
bestimmt Teil deines Prozesses. Weil du vielleicht wieder mit dem Arbeiter in
Kontakt trittst, um Material für deine nächste Platte zu sammeln.»
«Tu mir
einen Gefallen», sagte Katz, «sag deinen Freunden, ihre Eltern sollen mich
anrufen, wenn sie sich eine Dachterrasse bauen lassen wollen. Ich arbeite
überall südlich der Fourteenth und westlich
vom Broadway.»
«Im Ernst,
machst du es deshalb?»
«Die Säge
ist sehr laut.»
«Okay,
aber eine Frage noch? Ich schwöre, das ist die letzte. Kann ich ein Interview
mit dir machen?» Katz ließ die Säge aufheulen.
«Bitte?»,
sagte Zachary. «In meiner Klasse ist eine, die steht total auf Nameless Lake. Es wäre echt hilfreich, weil sie vielleicht mit mir
redet, wenn ich ein kurzes Interview digital aufzeichnen und ins Netz stellen
könnte.»
Katz
stellte die Säge ab und musterte Zachary ernst. «Du spielst Gitarre und willst
mir erzählen, du hast Probleme, Mädchen für dich zu interessieren?»
«Also, bei
der schon. Ihr Geschmack ist eher Mainstream. Die ist eine echt harte Nuss.»
«Und sie
ist diejenige, die du haben musst, ohne die du nicht leben kannst.»
«So
ziemlich.»
«Und sie
geht in die letzte Klasse», sagte Katz in einem alten Rechenreflex, bevor er
sich bremsen konnte. «Hat keine Klasse übersprungen oder so.»
«Nicht,
dass ich wüsste.»
«Ihr
Name?»
«Caitlyn.»
«Bring sie
morgen nach der Schule mit.»
«Aber sie
glaubt mir bestimmt nicht, dass du hier bist. Deshalb will ich doch das
Interview, als Beweis dafür. Dann wird sie mitkommen und dich sehen wollen.»
Katz
fehlten noch zwei Tage zu acht Wochen Zölibat. Während der vergangenen sieben
war ihm der Verzicht auf Sex wie eine natürliche Ergänzung seines Verzichts
auf Drogen und Alkohol erschienen - eine Tugend stützt die andere. Keine fünf
Stunden zuvor hatte er einen Blick durchs Oberlicht auf Zacharys
exhibitionistische Mutter geworfen und keinerlei Interesse, sondern eher
leichten Ekel verspürt. Nun aber
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