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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Katz ein
Löwe an der Kette, aus sicherer Entfernung mit Fragen, die sein Wissen über
klassische E-Gitarren demonstrieren sollten, für Katz ein besonders öder Warenfetisch.
Das sagte er auch, worauf der Junge verstimmt abzog.
    An Katz'
zweitem Arbeitstag, er schleppte gerade Bretter und WPC-Platten dachwärts,
lauerte ihm auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock Zacharys Mutter Lucy auf und
erzählte ihm ungefragt, die Traumatics seien für sie eine jener Boygroups mit
pubertärer Depri-Pose gewesen, die sie nie interessiert hätten. Dann wartete
sie ab, die Lippen leicht geöffnet, der Blick herausfordernd frivol, wie ihre
Anwesenheit - das Drama, sie zu sein - wohl auf ihn wirkte. Typisch für solche
Tussen, schien sie von der Originalität ihrer Provokation überzeugt. Dieselbe
Provokation war Katz, praktisch wortwörtlich, schon hundertmal begegnet, was
ihn nun in die lächerliche Lage versetzte, ein schlechtes Gewissen zu haben,
weil er sich nicht provoziert geben konnte: Lucys beherztes kleines Ego zu
bedauern, wie es auf einem Meer aus Alternde-Frau-Unsicherheit schwamm. Er
bezweifelte, dass er mit ihr etwas anfangen könnte, selbst wenn er es hätte versuchen
wollen, aber er wusste, dass ihr Stolz verletzt sein würde, wenn er sich nicht
wenigstens pro forma bemühte, ein Unsympath zu sein.
    «Ich
weiß», sagte er und lehnte die WPC-Platten an die Wand. «Deshalb war es für
mich so ein Durchbruch, eine Platte mit authentischen Erwachsenenempfindungen
zu machen, die auch Frauen schätzen können.»
    «Wie
kommen Sie darauf, dass mir Nameless Lake gefallen
hat?», sagte Lucy.
    «Wie
kommen Sie darauf, dass mich das kümmert?», versetzte Katz. Er war den ganzen
Vormittag die Treppe rauf und runter gegangen, aber richtig erschöpfte ihn
erst, dass er sich produzieren musste.
    «Ich fand
es ganz okay», sagte sie. «Es war vielleicht nur einen Tick zu hoch gelobt.»
    «Dem kann
ich gar nicht widersprechen», sagte Katz. Worauf sie verstimmt abzog.
    In den
Achtzigern und Neunzigern hatte Katz, um sein bestes Werbeargument als
Bauunternehmer nicht zu schwächen - dass er nämlich unpopuläre Musik machte,
die finanzieller Unterstützung bedurfte -, sich fast schon unprofessionell
verhalten müssen. Seine hauptsächliche Klientel waren Künstler und Filmleute
aus TriBeCa gewesen, die ihm Essen und manchmal auch Drogen gaben und sein
künstlerisches Engagement in Frage gestellt hätten, wenn er vor dem Nachmittag
zur Arbeit erschienen wäre, vergebene Frauen nicht angemacht hätte oder
innerhalb des Zeit- oder Budgetrahmens geblieben wäre. Nun, da TriBeCa
vollends von der Finanzwirtschaft annektiert war und Lucy den ganzen Vormittag
in Tanktop und hauchdünnem Bikinihöschen, die Times lesend
oder telefonierend, im Schneidersitz auf ihrem DUX-Bett saß und ihm jedes Mal,
wenn er vorbeiging, durchs Oberlicht zuwinkte, der kaum verhüllte Busch und die
eindrucksvollen Schenkel beständig einsehbar, wurde er zu einem Ausbund an
Professionalität und protestantischer Tugendhaftigkeit, begann pünktlich um
neun und arbeitete noch Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, um möglichst den
einen oder anderen Tag von dem Projekt abzuzwacken und bald verschwinden zu
können.
    Nach
seiner Rückkehr aus Florida verabscheute er Sex und Musik gleichermaßen. Eine
solche Form der Abscheu war ihm neu, und er war vernünftig genug zu erkennen,
dass das alles mit seinem Seelenzustand und wenig oder nichts mit der
Wirklichkeit zu tun hatte. So wie die prinzipielle Gleichheit weiblicher Körper
in keiner Weise endlose Vielfalt ausschloss, gab es auch keinen vernünftigen
Grund, an der Gleichheit der Bausteine populärer Musik zu verzweifeln, an den
Powerchords in Dur und Moll, dem A-B-A-B-C. Zu jeder Tageszeit arbeitete
irgendwo im Großraum New York ein energiegeladener junger Mensch an einem Lied,
das, wenn man es wenigstens ein paarmal, wenn's hoch kommt, zwanzig- oder
dreißigmal hörte, so frisch wie der Schöpfungsmorgen klang. Seit er in Florida
aus der Bewährung entlassen worden war und sich von seiner großbusigen
Dienstleiterin in der Parkbehörde, Marta Molina, verabschiedet hatte, war er
außerstande gewesen, seine Anlage einzuschalten, ein Instrument auch nur
anzufassen oder sich vorzustellen, dass er jemals wieder einen anderen Menschen
in sein Bett ließ. Kaum ein Tag verging, ohne dass er aus einem
Kellerübungsraum oder gar (selbst das geschah) dem Eingang eines Banana-Republic- oder Gap-Geschäfts einen erregenden

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