Franzen, Jonathan
erkannte er jäh und mit prophetischer
Klarheit, dass er die Acht-Wochen-Marke um einen Tag verfehlen würde: Er würde
sich der minutiösen Akquisition Caitlyns widmen und, indem er sich die
Millionen subtilst voneinander verschiedenen Gesichter und Körper, die sie
besitzen mochte, vorstellte, die zahllosen Besinnungsmomente zwischen jetzt
und morgen Abend löschen und dann, unter Aufbietung seiner Könnerschaft, die
Früchte einer solchen Übung genießen, alles in dem durchaus ehrenwerten
Dienst, Zachary eins draufzugeben und einem achtzehnjährigen Fan mit
«Mainstream»-Geschmack die Illusionen zu nehmen. Er merkte, dass er aus seinem
Desinteresse am Laster schlicht eine Tugend gemacht hatte.
«Also, pass auf», sagte er. «Du bereitest alles vor und denkst dir deine kleinen
Fragen aus, und in zwei Stunden bin ich unten. Aber morgen muss ich Ergebnisse sehen. Ich muss sehen, ob
das nicht irgendein Blödsinn von dir ist.»
«Krass!»,
sagte Zachary.
«Du hast
aber gehört, was ich gesagt habe, ja? Mit Interviews bin ich durch. Wenn ich
eine Ausnahme mache, dann brauchen wir Ergebnisse.»
«Ich
schwöre, sie wird kommen wollen. Sie will dich sehen, definitiv.»
«Schön,
dann überleg dir jetzt mal, was für einen großen Gefallen ich dir tue. Gegen
sieben bin ich unten.»
Es war
dunkel geworden. Der Schnee fiel nur noch als feines Gestöber, und vor dem
Holland Tunnel hatte der allabendliche Verkehrsalbtraum begonnen. Alle
U-Bahnlinien der Stadt bis auf zwei sowie die unverzichtbare PATH liefen in dreihundert Metern Entfernung von der Stelle, wo Katz
stand, zusammen. Diese Gegend war noch immer die Nahtstelle der Welt. Hier die
grellerleuchtete Brandnarbe des World Trade Center, hier der Goldschatz der Federal Reserve, hier die Tombs, die Börse
und das Rathaus, hier Morgan Stanley und American Express und die fensterlosen
Monolithe von Verizon, hier
erregende Blicke über den Hafen hin zur Freiheitsstatue in ihrer oxidgrünen
Hülle. Die fülligen Bürokratinnen und die drahtigen Bürokraten, die die Stadt
am Laufen hielten, drängten sich mit leuchtend bunten kleinen Schirmen auf der
Chambers Street, heimwärts nach Queens und Brooklyn. Einen Moment lang, bevor
er seine Arbeitsleuchte anknipste, war Katz beinahe glücklich, beinahe wieder
vertraut mit sich, doch als er zwei Stunden später sein Werkzeug
zusammenpackte, wurde er sich bewusst, auf wie viele Arten er Caitlyn schon
jetzt hasste und was es doch für ein seltsames, grausames Universum war, das
ihn bewog, eine Tusse zu vögeln, weil er sie hasste, und wie schlimm diese
Geschichte ähnlich so vielen anderen davor enden würde, welche Vergeudung
seiner angesammelten keuschen Zeit es wäre. Wegen dieser Verschwendung hasste
er sie noch mehr.
Und
dennoch war es wichtig, dass Zachary eins draufbekam. Der Junge hatte seinen
eigenen Übungsraum zur Verfügung, ein mit Noppenschaum ausgekleidetes
würfelartiges Zimmer, in dem mehr Gitarren herumstanden, als Katz in dreißig
Jahren besessen hatte. Nach dem zu urteilen, was Katz beim Kommen und Gehen
immer mal wieder hatte hören können, spielte der Junge schon, rein technisch
gesehen, schärfere Soli als Katz früher und gewiss auch künftig. Aber das taten
auch noch hunderttausend andere amerikanische Highschool-Jungs. Na und? Statt
die stellvertretenden Rockambitionen seines Vaters zu hintertreiben, indem er
sich auf Entomologie stürzte oder sich für Finanzderivate interessierte, äffte
Zachary pflichtschuldig Jimi Hendrix nach. An irgendeinem Punkt hatte die
Phantasie eben versagt.
Der Junge
wartete in seinem Übungsraum mit einem Apple-Laptop und einer ausgedruckten
Liste seiner Fragen, als Katz hereinkam, und kaum war er in der Zimmerwärme,
lief ihm die Nase, und seine halb abgefrorenen Hände schmerzten. Zachary
deutete auf den Klappstuhl, auf den er sich setzen sollte. «Ich hab mir überlegt»,
sagte er, «ob du erst einen Song spielst und dann vielleicht noch einen, wenn
wir fertig sind.»
«Nein, das
mache ich nicht», sagte Katz.
«Nur einen
Song. Das wäre echt cool.»
«Stell mir
einfach deine Fragen, ja? Das ist auch so schon demütigend genug.»
F: Also,
Richard Katz, vor drei Jahren kam Nameless Lake heraus,
und vor genau zwei Jahren wurde Walnut Surprise für den Grammy nominiert.
Kannst du mir ein bisschen erzählen, wie sich dein Leben seither verändert
hat? A: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Du musst mir bessere Fragen
stellen.
F: Also,
vielleicht kannst du
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