Franzen, Jonathan
hab gedacht, vielleicht hast du
deshalb nicht angerufen.»
«Nein!
Nein. Überhaupt nicht.»
«Es würde
mir nichts ausmachen. Das wollte ich dir schon letzten Monat sagen. Du bist
ein Mann, du hast deine Bedürfnisse. Ich erwarte nicht, dass du wie ein Mönch
lebst. Ist doch bloß Sex, was soll's.»
«Also, das
gilt auch für dich», sagte er dankbar und witterte einen neuen Fluchtweg.
«Nur dass
es bei mir nicht passieren wird», sagte Connie. «Keiner sieht mich so wie du.
Ich bin für Männer unsichtbar.»
«Ich
glaube dir kein Wort.»
«Doch, es
stimmt. Manchmal versuche ich im Restaurant, freundlich zu sein oder gar zu
flirten. Aber es ist, als wäre ich unsichtbar. Bloß ist mir das eh nicht
wichtig. Ich will nur dich. Ich glaube, das spürt man.»
«Ich will
dich auch», hörte er sich murmeln, ein Verstoß gegen bestimmte
Sicherheitsbestimmungen, die er sich selber auferlegt hatte.
«Ich
weiß», sagte sie. «Aber Männer sind anders, mehr sag ich gar nicht. Du sollst
dich frei fühlen.»
«Ich hab
mir aber ziemlich oft einen runtergeholt.»
«Ja, ich
auch. Stundenlang. An manchen Tagen ist mir nach nichts anderem. Wahrscheinlich
glaubt Carol deshalb, ich bin deprimiert.»
«Aber
vielleicht bist du ja doch deprimiert.»
«Nein, ich
mag's eben, oft zu kommen. Ich denke an dich, und schon komme ich. Ich denke
nochmal an dich, und schon komme ich nochmal. Weiter ist nichts.»
Sehr
schnell entwickelte sich das Gespräch zu Telefonsex, den sie seit ihren
frühesten Tagen, als sie in ihrem jeweiligen Zimmer herumschlichen und in den
Hörer flüsterten, nicht mehr gehabt hatten. Seitdem war er um einiges
interessanter geworden, weil sie jetzt wussten, wie sie miteinander sprechen
mussten. Gleichzeitig war es, als hätten sie nie zuvor miteinander geschlafen -
und daher kataklystisch.
«Könnte
ich es dir nur von den Fingern lecken», sagte Connie, als sie fertig waren.
«Ich lecke
es für dich ab», sagte Joey.
«Das ist
gut. Leck's für mich ab. Schmeckt es gut?»
«Ja.»
«Ich
schwöre dir, ich schmecke es im Mund.»
«Ich kann
dich auch schmecken.»
«Oh,
Baby.»
Was
sogleich zu weiterem Telefonsex führte, einer nervöseren Version, da Jonathans
Nachmittagsseminar endete und er bald zurückkommen konnte.
«Oh,
Baby», sagte Connie. «Oh, Baby. Oh, Baby, oh, Baby.»
Als Joey erneut
kam, glaubte er, er sei Connie in ihrem Zimmer in der Barrier Street, sein gewölbter Rücken ihr gewölbter Rücken, seine kleine Brust
ihre. Sie lagen da und atmeten unisono in ihre Handys. Er hatte unrecht gehabt,
als er zu Carol am Vorabend gesagt hatte, nicht er, sondern sie sei
verantwortlich dafür, wie Connie war. Jetzt spürte er in seinem Körper, wie sie
einander zu dem, was sie waren, gemacht hatten.
«Deine Mom möchte, dass ich Thanksgiving bei euch
verbringe», sagte er nach einer Weile.
«Das brauchst
du nicht», sagte sie. «Wir haben doch vereinbart, dass wir versuchen wollen,
neun Monate zu warten.»
«Na, sie
hat halt so rumgezickt.»
«So ist
sie eben. Sie ist eine Zicke. Aber ich habe mit ihr geredet, es kommt nicht
wieder vor.»
«Dann ist
es dir also gleich?»
«Du weißt,
was ich will. Thanksgiving hat damit
nichts zu tun.»
Aus
paradox entgegengesetzten Gründen hatte er gehofft, Connie werde ihn, wie zuvor
Carol, drängen, über den Feiertag hinzufahren. Einerseits wollte er sie
unbedingt sehen und mit ihr schlafen, andererseits wollte er an ihr
herumkritteln, damit er etwas hatte, dem er widerstehen und mit dem er brechen
konnte. Sie dagegen schlug mit ihrer kühlen Klarheit wieder den Haken ein, von
dem er sich in den vergangenen Wochen für eine Weile halbwegs hatte befreien
können. Schlug ihn tiefer ein als je zuvor.
«Ich
müsste jetzt langsam mal auflegen», sagte er. «Gleich kommt Jonathan.»
«Okay»,
sagte Connie und verabschiedete sich.
Ihr
Gespräch war so krass von seinen Erwartungen abgewichen, dass er sich kaum noch
erinnern konnte, was er überhaupt erwartet hatte. Er erhob sich von seinem
Bett, als tauchte er klopfenden Herzens, mit veränderter Sicht, aus einem
Wurmloch im Wirklichkeitsgewebe auf, und tigerte unter dem kollektiven Blick
von Tupac und Natalie Portman im Zimmer
herum. Er hatte Connie immer sehr gemocht. Immer. Und warum wurde er
ausgerechnet jetzt, in diesem unpassenden Moment, wie zum ersten Mal von einem
derart titanischen Sog gepackt, sie richtig zu mögen? Wie konnte
es sein, dass er nach all den Jahren, in denen er mit ihr geschlafen,
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