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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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Jahren,
in denen er zärtliche und beschützerische Gefühle ihr gegenüber gehegt hatte,
erst jetzt in eine solch schwere See der Zuneigung geris sen wurde? Und sich mit ihr in einer so beängstigend bedeutsamen Weise
verbunden fühlte? Warum jetzt?
    Es war
falsch, es war falsch, er wusste, es war falsch. Er setzte sich an seinen
Computer, um die Bilder von Jonathans Schwester zu betrachten und
versuchshalber die Ordnung ein wenig wiederherzustellen. Aber zum Glück kam,
bevor er die Dateiendungen zurück auf jpg ändern konnte und auf frischer Tat
ertappt wurde, Jonathan herein.
    «Mein
Freund, mein jüdischer Bruder», sagte er und ließ sich wie das Opfer einer
Schießerei aufs Bett fallen. «Was geht so ab?»
    «Was so
abgeht?», sagte Joey und schloss hastig ein graphisches Fenster.
    «Holla,
ein kleines bisschen Chlor in der Luft? Warst
du im Schwimmbad oder was?»
    Und da
hätte Joey seinem Zimmergenossen beinahe alles erzählt, die ganze Geschichte
von ihm und Connie bis zum jetzigen Zeitpunkt. Aber die Traumwelt, in der er
sich befunden hatte, die niederen Gefilde sexuell verschmolzener Identitäten,
sie wichen angesichts von Jonathans männlicher Gegenwart rasch zurück.
    «Ich weiß
nicht, was du meinst», sagte er und lächelte.
    «Mach mal
das Fenster auf, Herrgott. Also ich mag dich ja schon und so, aber ich bin noch
nicht so weit, bis zum Äußersten zu gehen.»
    Fortan
öffnete Joey, der sich Jonathans Beschwerde zu Herzen nahm, die Fenster. Gleich
am nächsten Tag rief er Connie wieder an, zwei Tage danach erneut. Still und
leise legte er seine vernünftigen Argumente gegen allzu häufiges Telefonieren
ad acta und gab sich dankbar dem Telefonsex als Ersatz für seine einsamen
Bibliotheks-Masturbationen hin, die er jetzt für trostlose Verirrungen hielt,
zu peinlich, um sich daran zu erinnern. Erfolgreich redete er sich ein, dass
es, solange sie das gewöhnliche Geplauder über Neuigkeiten mieden und einzig
und allein über Sex redeten, schon in Ordnung sei, dieses Schlupfloch in seinem
ansonsten strikten Embargo überflüssigen Kontakts zu nutzen. Als sie es jedoch
weiter nutzten und der Oktober in den November überging und die Tage kürzer
wurden, merkte er, dass ihr Kontakt dadurch, dass er Connie nun benennen hörte,
was sie alles schon getan hatten und ihrer Vorstellung nach noch tun würden, desto
tiefer und realer wurde. Diese Vertiefung war irgendwie merkwürdig,
da sie einander doch nur zum Orgasmus brachten. Im Nachhinein aber schien ihm,
als hätte Connies Schweigen
in St. Paul eine Art schützende Barriere errichtet: ihren Kopulationen etwas
verliehen, das sich, in der Sprache der Politiker, glaubhaft abstreiten ließ.
Die Erkenntnis, dass Sex bei ihr jetzt voll als Sprache angekommen war - als
Folge von Wörtern, die sie auszusprechen vermochte -, machte sie als Mensch für
ihn viel realer. Beide konnten sie nun nicht mehr so tun, als wären sie einfach
nur stumme jugendliche Tiere, die stumpfsinnig ihr Ding durchzogen. Wörter
ließen alles weniger sicher sein, Wörter hatten keine Grenzen, Wörter schufen
sich ihre eigene Welt. Eines Nachmittags wurde Connies erregte Klitoris, ihrer Beschreibung zufolge, volle zwanzig Zentimeter
lang, ein hervorstehender Stift der Zärtlichkeit, mit dem sie sanft die Lippen
seines Penis teilte und sich bis zum Sockel seines Schafts hineinschob. An
einem anderen Tag beschrieb Joey, auf ihr Drängen hin, die glatte warme
Reinheit ihrer Würste, die, als sie aus ihrem Anus glitten und in seinen
offenen Mund fielen - schließlich waren es ja nur Wörter -, wie vorzügliche
dunkle Schokolade schmeckten. Solange ihre Wörter in seinem Ohr waren und ihn
anspornten, schämte er sich für gar nichts. Drei-, vier-, ja sogar fünfmal die
Woche kehrte er zu dem Wurmloch zurück und verschwand in der Welt, die sie
beide geschaffen hatten, tauchte später wieder daraus auf, schloss die Fenster
und ging in den Speisesaal oder hinunter in den Aufenthaltsraum, wo er mühelos
die seichte Leutseligkeit zeigte, die das Collegeleben von ihm verlangte.
    Es war,
wie Connie gesagt hatte, doch bloß Sex. Die Erlaubnis, die sie ihm gegeben
hatte, auch anderweitig danach zu streben, beschäftigte Joey sehr, als er mit
Jonathan zu Thanksgiving nach NoVa
fuhr. Sie saßen in Jonathans Land Cruiser, den er zu
seinem Highschool-Abschluss geschenkt bekommen hatte und, in offener
Missachtung der «Im ersten Studienjahr kein Auto»-Regel, immer außerhalb des
Campus parkte. Aus Filmen

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