Franzen, Jonathan
wir sie dann noch
besucht, als wir in den Ferien in New York waren, und auch das war schlimm. Ich
kriege meine Geburtstagskarten von denen drei Wochen zu spät, und weil sie zu
spät kommen, beschimpft meine Mom sie dann, obwohl es doch eigentlich gar nicht ihre Schuld ist. Wie
sollen sie sich denn den Geburtstag von einem merken, den sie nie zu Gesicht
kriegen?»
Jonathan
runzelte nachdenklich die Stirn. «Wo in New York?»
«Weiß ich
nicht. In irgendeinem Vorort. Meine Großmutter ist Politikerin, im
Staatsparlament oder so. Eine nette, elegante Jüdin, aber meine Mom hält es anscheinend nicht aus, in einem Raum mit ihr zu sein.»
«Holla,
sag das nochmal.» Jonathan richtete sich kerzengerade im Bett auf. «Deine Mom ist Jüdin?»
«Theoretisch
schon irgendwie.»
«Mann,
dann bist du Jude! Ich hatte ja keine Ahnung!»
«Ach, bloß
zu einem Viertel», sagte Joey. «Das hat sich ganz schön verwässert.»
«Du
könntest auf der Stelle nach Israel auswandern, und keiner würde Fragen
stellen.»
«Mein
Lebenstraum geht in Erfüllung.»
«Ich sag
ja nur. Du könntest dir eine Desert Eagle zulegen
oder so einen Kampfjet steuern oder dich mit einer Supersabra zusammentun.»
Um das
Gesagte zu unterstreichen, öffnete Jonathan seinen Laptop und klickte sich auf
eine Seite voller Bilder von gebräunten israelischen Göttinnen mit
großkalibrigen Patronengurten, die sich über ihren nackten
Körbchengröße-D-Brüsten kreuzten.
«Nicht so
mein Ding», sagte Joey.
«Ich steh
da auch nicht drauf», sagte Jonathan in vielleicht nicht absoluter Ehrlichkeit.
«Ich sag's ja nur für den Fall, dass es dein
Ding wäre.»
«Und gibt
es da nicht auch ein Problem mit illegalen Siedlungen und vollkommen rechtlosen
Palästinensern?»
«O ja, da
gibt's ein Problem! Das Problem ist eine kleine pro-westlich regierte Insel der
Demokratie, die von muslimischen Fanatikern und feindlichen Diktatoren
umzingelt ist.»
«Schon
richtig, aber das heißt doch bloß, dass der Ort für diese Insel blöd ausgesucht
war», sagte Joey. «Wenn die Juden nicht in den Nahen Osten gegangen wären und
wir sie nicht immerzu unterstützen müssten, wären uns die arabischen Länder
vielleicht gar nicht so feindlich gesinnt.»
«Mann,
schon mal was vom Holocaust gehört?»
«Schon,
aber warum sind sie dann nicht stattdessen nach New York gegangen? Wir hätten
sie doch reingelassen. Hier hätten sie ihre Synagogen und so weiter haben
können, und wir hätten gewissermaßen normale Beziehungen mit den Arabern
gehabt.»
«Aber der
Holocaust ist in Europa passiert, das ja angeblich zivilisiert war. Wenn man
die Hälfte des eigenen Volkes in einem Genozid verliert, vertraut man in
puncto Schutz nur noch sich selbst.»
Joey
beschlich das ungute Gefühl, dass die Einstellung, die er da vertrat, eher die
seiner Eltern als die eigene war und dass er daher im Begriff stand, einen
Disput zu verlieren, an dessen Gewinn ihm nicht einmal lag. «Na gut», beharrte
er gleichwohl, «aber warum muss das unser Problem
sein?»
«Weil es
unsere Aufgabe ist, Demokratie und freie Märkte zu unterstützen, egal wo»,
sagte Jonathan. «In Saudi-Arabien ist das Problem dieses - zu viele wütende
Leute ohne wirtschaftliche Aussichten. Deshalb kann dort auch Bin Laden Leute
rekrutieren. Was die Palästinenser angeht, bin ich mit dir völlig einer
Meinung. Das ist einfach ein riesengroßer Brutplatz für Terroristen. Darum müssen
wir auch versuchen, allen arabischen Ländern die Freiheit zu bringen. Aber
damit fängt man nicht an, indem man an der einzigen funktionierenden Demokratie
in der Region Verrat begeht.»
Joey
bewunderte an Jonathan nicht nur dessen Coolheit, sondern auch, dass er über
das Selbstbewusstsein verfügte, sich nicht als blöd zu verkaufen, um sie sich
zu bewahren. Jonathan schaffte den schwierigen Akt, Intelligenz cool wirken zu
lassen. «Hey», sagte Joey, um das Thema zu wechseln, «bin ich denn noch zu Thanksgiving eingeladen?»
«Eingeladen?
Du bist jetzt doppelt eingeladen. Meine Familie gehört nicht zu der Sorte
Juden, die sich selbst hassen. Meine Eltern stehen absolut auf Juden. Die
rollen dir den roten Teppich aus.»
Am
folgenden Nachmittag klappte Joey, allein in ihrem Zimmer und bedrückt darüber,
dass er Connie, wie versprochen, noch nicht angerufen hatte, um ihr zu sagen,
dass sie zum Arzt gehen solle, wie automatisch Jonathans Computer auf und
suchte nach Fotos von dessen Schwester Jenna. Er hielt es nicht für
Schnüffelei,
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