Franzen, Jonathan
einer baumbestandenen Sackgasse, die wie eine Vision dessen war, wo Joey
leben wollte, sobald er das Geld dazu hätte. Im Innern des Hauses mit Fußböden
aus feingemasertem Eichenholz schien es endlos Zimmer zu geben, die auf eine
waldige Schlucht hinausgingen, in der Spechte zwischen zumeist kahlen Bäumen
umherschwirrten. Obwohl in einem Haus aufgewachsen, das er immer für
bücherlastig und geschmackvoll gehalten hatte, war Joey baff ob der Menge
gebundener Bücher und der offensichtlichen Topqualität der multikulturellen
Beutestücke, die Jonathans Vater während seiner glanzvollen Auslandsaufenthalte
hatte zusammentragen können. So wie Jonathan voller Überraschung von Joeys Highschool-Abenteuern gehört hatte, war nun auch Joey überrascht,
welchem Oberschichtluxus sein schlampiger und etwas ungehobelter Zimmergenosse
entstammte. Das einzige wirklich Störende waren die protzig prunkvollen
Judaika, die in diversen Nischen und Ecken geparkt waren. Als Jonathan Joey
über eine besonders monströse versilberte Menora das Gesicht verziehen sah,
versicherte er ihm, sie sei extrem alt und selten und wertvoll.
Jonathans
Mutter Tamara, früher eindeutig ein scharfer Feger und noch immer nicht ohne,
zeigte Joey das Luxuszimmer samt Bad, das er für sich allein haben würde.
«Jonathan hat mir erzählt, du bist Jude», sagte sie.
«Ja,
anscheinend bin ich das», sagte Joey.
«Aber
nicht religiös?»
«Bis vor
einem Monat war es mir nicht mal bewusst.»
Tamara
schüttelte den Kopf. «Das verstehe ich nicht», sagte sie. «Ich weiß, es ist
sehr verbreitet, aber ich werde es nie verstehen.»
«Es war ja
nicht so, dass ich Christ gewesen wäre oder so», sagte Joey entschuldigend.
«Das war alles überhaupt kein Thema.»
«Jedenfalls
bist du uns sehr willkommen. Ich könnte mir denken, du findest es interessant,
ein wenig über dein Erbe zu erfahren. Du wirst sehen, dass Howard und ich nicht
besonders konservativ sind. Wir finden es nur wichtig, uns unseres Erbes
bewusst zu sein und es nie zu vergessen.»
«Sie
werden dich schon ordentlich zurechtschleifen», sagte Jonathan.
«Keine
Sorge, du wirst sehr sanft geschliffen werden», sagte Tamara und lächelte milfig.
«Super»,
sagte Joey. «Ich bin für alles zu haben.»
Sobald es
ging, flüchteten die beiden jungen Männer in den Freizeitraum im Souterrain,
dessen Ausstattung sogar die in Blakes und Carols Mehrzweckraum in den Schatten stellte. Auf den blauen Filzweiten des
Mahagoni-Billardtischs konnte man fast Tennis spielen. Jonathan zeigte Joey ein
kompliziertes, nicht enden wollendes und frustrierendes Spiel, das Cowboy Pool
hieß und einen Tisch ohne eine zentrale Auffangvorrichtung für die Bälle
erforderte. Joey wollte schon vorschlagen, zu Air Hockey zu wechseln, worin er
vernichtende Fertigkeiten besaß, als Jenna, die Schwester, nach unten kam. Sie
nahm Joey von den Zinnen ihres zweijährigen Altersvorsprungs herab kaum wahr
und besprach gleich dringende Familienangelegenheiten mit ihrem Bruder.
Auf einmal
begriff Joey wie nie zuvor, was man unter «atemberaubend» verstand. Jenna war
von jener verstörenden Schönheit, die alles um sie herum, selbst die
elementaren Organfunktionen des Betrachters, auf den Status einer
Nebensächlichkeit verwies. Ihre Figur, ihr Teint, ihr Knochenbau ließen die
Eigenschaften, die er an anderen «hübschen» Mädchen so bewundert hatte, nun
krude Annäherungen an Schönheit sein; nicht einmal die Fotos von ihr waren dem
Original gerecht geworden. Ihr Haar war dicht und glänzend und erdbeerblond,
und sie trug ein übergroßes Duke-Trikot und eine Flanellschlafanzughose, die,
weit davon entfernt, die Vollkommenheit ihres Körpers zu verhüllen, sein
Vermögen demonstrierte, sich noch gegen die schlabberigsten Klamotten
durchzusetzen. Alles andere im Freizeitraum, worauf Joey seine Blicke richtete,
fiel nur dadurch auf, dass es nicht sie war - durch die Bank zweitrangiger
Kram. Und dennoch war sein Gehirn, wenn er doch einmal einen verstohlenen Blick
auf sie warf, zu aufgewühlt, als dass er viel hätte erkennen können. Das Ganze
war seltsam ermüdend. Anscheinend war es ihm nicht möglich, eine Miene
aufzusetzen, die weder falsch noch betreten war. Dass er wie ein Idiot den
Fußboden angrinste, während sie und ihr verblüffend unerschrockener Bruder sich
über die Shopping-Expedition nach New York zankten, die sie am Freitag
unternehmen wollte, war ihm schmerzlich bewusst.
«Du kannst
uns nicht das Cabrio
Weitere Kostenlose Bücher