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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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er. «Ich führe dich definitiv aus.»
    «Bestimmt.
Aber mein Chef hat während der nächsten drei Wochen massenhaft Aufträge in den
Hamptons. Da sind meine Dienste als Klemmbretthalterin gefragt. Schade, dass du
selbst so hart arbeiten musst, sonst könnte ich versuchen, dich irgendwo einzuschleusen.»
    Er hatte
die Übersicht über all die Halbverabredungen und Halbversprechen verloren, die
sie in den Raum gestellt hatte, seit sie sich kannten. Nichts von den schönen
Dingen, die sie vorschlug, wurde Wirklichkeit, und nie konnte er sich erklären,
warum sie die Vorschläge überhaupt immer wieder machte. Manchmal dachte er, es
habe damit zu tun, dass sie mit ihrem Bruder in einem Konkurrenzverhältnis
stand. Vielleicht lag es auch daran, dass Joey Jude war und ihrem Vater gefiel,
dem einzigen Menschen, über den sie nie herzog. Oder sie war von seiner
Beziehung mit Connie fasziniert und fand an den Bröckchen privater Infos, die
er ihr zu Füßen legte, königlichen Genuss. Oder sie stand tatsächlich auf ihn
und wollte sehen, wie er sein würde, wenn er älter war, und wie viel Geld er
dann verdiente. Oder vielleicht all das zusammen. Jonathan hatte keine anderen
Einsichten zu bieten, als dass seine Schwester eben hart drauf war, ein Freak vom Planeten Verwöhnt mit dem ethischen Bewusstsein
eines Meeresschwamms, doch Joey meinte, in ihr Tiefergehendes zu erkennen. Er
weigerte sich zu glauben, dass jemand, der über die Macht von so viel Schönheit
verfügte, bar jeder interessanten Ideen sein könnte, sie zu nutzen.
    Als er
Connie am Tag darauf von dem Streit mit seinem Vater erzählte, hielt sie sich
nicht weiter bei den Inhalten der jeweiligen Argumente auf, sondern ging direkt
auf seine Verletztheit ein und sagte ihm, wie leid es ihr tue. Sie arbeitete
wieder als Bedienung und schien bereit, den ganzen Sommer zu warten, bis sie
ihn wiedersah. Kenny Barties
hatte ihm die letzten beiden Augustwochen als bezahlten Urlaub in Aussicht
gestellt, falls er einverstanden sei, bis dahin jedes Wochenende
durchzuarbeiten, und er wollte nicht, dass Connie da war und alles noch
komplizierter machte, wenn Jenna nach Washington kam; er wusste nicht, wie er
einen, zwei oder gar drei Abende hätte verschwinden können, ohne Connie krasse
Lügen von der Sorte aufzutischen, die er auf ein Minimum beschränken wollte.
    Den
Gleichmut, mit dem sie den Aufschub akzeptierte, führte er auf das Cipramil
zurück. Doch dann, eines Abends, bei einem Routineanruf, er trank gerade Bier
in seiner Wohnung, verfiel sie in ein besonders ausgedehntes Schweigen, das sie
mit den Worten «Baby, ich muss dir noch
ein paar Dinge sagen» beendete. Das erste war, dass sie ihr Medikament
abgesetzt hatte. Das zweite, dass sie es deshalb abgesetzt hatte, weil sie mit
dem Geschäftsführer des Restaurants schlief und es satthatte, nicht zu kommen.
Das gestand sie mit einer merkwürdigen Distanziertheit, als spräche sie von
einer Frau, die nicht sie war, einer Frau, deren Handlungen bedauerlich, aber
zu verstehen seien. Der Geschäftsführer, sagte sie, sei verheiratet, habe zwei
halbwüchsige Kinder und wohne in der Hamline Avenue. «Ich dachte, ich sag's dir lieber mal», sagte sie. «Ich kann damit aufhören, wenn du möchtest.»
    Joey
zitterte. Schauderte beinahe. Ein Luftzug drang durch eine mentale Tür, von der
er angenommen hatte, sie sei geschlossen und verriegelt, die tatsächlich aber
weit offen stand, eine Tür, durch die er flüchten konnte. «Möchtest du denn
damit aufhören?», sagte er.
    «Ich weiß
nicht», sagte sie. «Irgendwie mag ich es, wegen dem Sex, aber ich empfinde
nichts für ihn. Ich empfinde nur etwas für dich.»
    «Tja,
Mensch. Ich glaube, da muss ich erst
mal drüber nachdenken.»
    «Ich weiß,
es ist richtig blöd, Joey. Ich hätte es dir gleich sagen sollen, als es
passiert ist. Aber eine Weile war es so schön, dass sich jemand für mich
interessiert hat. Ist dir klar, wie oft wir seit Oktober miteinander geschlafen
haben?»
    «Ja, ich
weiß. Ist mir klar.»
    «Entweder
zweimal oder gar nicht, je nachdem, ob du das mitzählst, als ich krank war.
Etwas stimmt da nicht.»
    «Ja.»
    «Wir
lieben einander, aber wir sehen uns nie. Vermisst du das denn nicht?»
    «Doch.»
    «Hast du
mit anderen geschlafen? Hältst du es deshalb aus?»
    «Ja. Ein
paarmal. Aber nie mehr als einmal mit
einer.»
    «Ich war
mir ziemlich sicher, dass du es gemacht hast, aber ich wollte dich nicht
fragen. Ich wollte nicht, dass du denkst, ich lasse

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