Franzen, Jonathan
war, sein ganzes Leben
lang, ihre Beziehung im Wesentlichen ein Patt, ein Gleichstand der
Willenskräfte gewesen. Nun aber reichte es seinem Dad nicht mehr, ihm einen Vortrag über seine Kälte und Arroganz mit auf
den Weg zu geben. Nun brüllte er, Joey kotze ihn an, es bereite
ihm körperlichen Ekel, einen Sohn großgezogen zu haben,
der so selbstsüchtig und gedankenlos sei, dass er mit Monstern, die das Land um
ihrer persönlichen Bereicherung willen zerstörten, gemeinsame Sache mache.
Seine Mutter rannte, statt ihn zu verteidigen, um ihr Leben: nach oben, in ihr
kleines Zimmer. Er wusste, am nächsten Morgen würde sie ihn anrufen und
versuchen, die Dinge zu glätten, würde ihm erzählen, sein Dad sei nur deshalb so wütend, weil er ihn liebe, und solchen Mist. Doch
um dazubleiben, war sie zu feige, und so hatte er keine andere Wahl, als die
Arme fest zu verschränken, eine steinerne Miene aufzusetzen und seinem Dad immer wieder kopfschüttelnd zu sagen, er solle nicht Dinge
kritisieren, die er nicht verstehe.
«Was
gibt's da nicht zu verstehen?», sagte sein Vater. «In diesem Krieg geht es um
Politik und Profit. Punkt!»
«Nur weil
dir die Politik von denen nicht passt», sagte Joey, «heißt das nicht, dass
alles falsch ist, was sie machen. Du tust so, als wäre alles, was sie machen,
schlecht, du hoffst, sie scheitern in allem, weil du ihre Politik verabscheust.
Von den guten Sachen, die geschehen, willst du erst gar nichts hören.»
«Da
geschehen keine guten Sachen.»
«Ja,
genau. Die Welt ist schwarz-weiß. Wir sind nur schlecht, und du bist nur gut.»
«Meinst du
etwa, die Welt ist nun mal so, dass den jungen Leuten im Nahen Osten, die so
alt sind wie du, Kopf und Beine weggeschossen werden, damit du einen Haufen
Geld verdienen kannst? Ist das die ideale Welt, in der du lebst?»
«Natürlich
nicht, Dad. Hörst du vielleicht mal einen
Augenblick auf, dumm zu sein? Die Leute dort werden getötet, weil ihre Wirtschaft
am Arsch ist. Wir versuchen, ihre Wirtschaft auf die Beine zu kriegen,
kapiert?»
«Du
dürftest keine achttausend Dollar im Monat verdienen», sagte sein Dad. «Ich weiß, du hältst dich für oberschlau, aber es stimmt etwas nicht
mit der Welt, wenn ein ungelernter Neunzehnjähriger das kann. Deine Stelle stinkt nach
Korruption. Für mein Empfinden riechst du ziemlich schlecht.»
«Mensch, Dad. Ach, egal.»
«Ich will
gar nicht mehr wissen, was du machst. Es kotzt mich einfach an. Erzähl es
meinetwegen deiner Mutter, aber tu mir einen Gefallen und lass mich aus dem Spiel.»
Joey
lächelte grimmig, um nicht loszuheulen. Er verspürte einen Schmerz, der etwas
Strukturelles hatte, als hätten er und sein Dad sich ihre
politische Einstellung eigens zu dem Zweck ausgesucht, den anderen zu hassen,
und als wäre der einzige Ausweg daraus die Loslösung. Seinem Dad gar nichts zu sagen, ihn erst wiederzusehen, wenn es gar nicht anders
ging, auch das hatte was, fand er. Er war nicht einmal wütend, er wollte nur
die Verletztheit hinter sich lassen. Also fuhr er mit dem Taxi in sein
möbliertes Studio, das er mit Hilfe seiner Mutter gemietet hatte, und schrieb
Connie und Jenna eine SMS. Connie war wohl schon früh zu Bett gegangen, doch
Jenna rief ihn um Mitternacht zurück. Sie war nicht die beste Zuhörerin der
Welt, aber sie hatte immerhin genug von seinem vermurksten Vierten Juli
mitgekriegt, um ihn zu beruhigen, dass die Welt nicht fair sei und es nie sein
werde, dass es immer die großen Sieger und die großen Verlierer gebe und dass
sie persönlich in dem tragischerweise endlichen Leben, das man ihr geschenkt
habe, lieber Siegerin sei und sich mit Siegern umgebe. Als er sie dann darauf
ansprach, dass sie ihn von McLean aus gar
nicht angerufen habe, sagte sie, sie habe es nicht für «sicher» gehalten, mit
ihm essen zu gehen.
«Warum
soll das nicht sicher gewesen sein?»
«Du bist
so eine Art schlechte Angewohnheit von mir», sagte sie. «Ich muss das in Grenzen halten. Immer schön den Hauptpreis im Blick.»
«Das
klingt mir nicht so, als wäre es mit dem Hauptpreis so prickelnd.»
«Der Hauptpreis
ist extrem damit beschäftigt, den Posten seines Chefs zu übernehmen. In dieser
Welt machen sie das so, sie versuchen, einander lebendig zu verspeisen. Das
ist erstaunlich unverpönt. Aber anscheinend auch ungeheuer zeitaufwendig. Als
Mädchen möchte man hin und wieder ausgeführt werden, erst recht im ersten
Sommer nach dem Examen.»
«Deswegen
musst du eben herkommen», sagte
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