Franzen, Jonathan
richtig hatte er ihr erst
geglaubt, nachdem er es selbst ausprobiert hatte. Seitdem war sein Leben
unbeschwerter gewesen. Auch wenn er Connie die Freundlichkeit erwies, seine
Affären nicht zu erwähnen, dachte er weiterhin, sie würden sie ohnehin nicht
kratzen. (Derjenige, vor dem er sie wirklich verbergen musste, war Jonathan,
der Artus'sche Vorstellungen von romantischem Betragen hatte und, als die
Kunde von einer Bettnummer zu ihm durchsickerte, in heller Empörung über Joey
herfiel, als wäre er Connies älterer
Bruder oder ritterlicher Vormund. Joey hatte ihm geschworen, nicht einmal ein
Reißverschluss sei geöffnet worden, doch diese Unwahrheit war zu absurd, als
dass er dabei nicht hätte grinsen müssen, und Jonathan hatte ihn als Drecksack
und Lügner beschimpft, der Connies unwürdig
sei.) Nun fand er, dass Jenna mit ihren wechselnden Treuestandards ihn ganz
genauso gelinkt hatte wie seine Chefs im Thinktank. Sie hatte das, was die
Kriegstreiber aus Profitgier getan hatten, aus Spaß getan, aus Gemeinheit gegenüber
Connie. Doch das minderte sein Verlangen, sie zu einem tollen Essen einzuladen
oder, bei RISEN, das Geld
dafür zu verdienen, in keiner Weise.
In
Alexandria, allein im nüchternen Einzimmerbüro von RISEN, schrieb Joey Kennys wirre Faxe aus Bagdad in überzeugende Berichte
über den umsichtigen Einsatz von Steuermitteln um, mit denen einstmals von
Saddam subventionierte Bäcker in von der Übergangsverwaltung geförderte
Unternehmer verwandelt werden sollten. Mittels seiner Fallstudien über die
Ketten Breadmasters und Hot & Crusty, die er im Sommer zuvor verfasst hatte, kreierte er eine schicke
Businessplan-Schablone, nach der diese Möchtegernunternehmer sich richten
konnten. Er entwickelte einen Zweijahresplan für die Anhebung der Brotpreise
auf das marktübliche Niveau, wobei das einfache irakische khubz als
Lockartikel und überteuerte Backwaren und attraktiv vermarktete Kaffeegetränke
als Geldbringer fungierten, sodass die Zuschüsse der Koalition 2005 auslaufen
konnten, ohne dass es zu Brotunruhen kam. Alles, was er tat, war zumindest
teilweise und häufig zur Gänze Schwachsinn. Er hatte nicht die leiseste Ahnung,
wie eine Ladenfassade in Basra aussah;
immerhin ahnte er beispielsweise, dass gekühlte Gebäck-Schaufensterauslagen im
Stil von Breadmasters in einer Stadt mit Autobomben und einer Sommerhitze von 55° Celsius
nicht ganz das Richtige waren. Doch der Humbug des modernen Handels war eine
Sprache, die er zu seiner Freude fließend beherrschte, und Kenny versicherte ihm, das einzig Wichtige sei der Anschein von ungeheurer
Betriebsamkeit und sofortigen Ergebnissen. «Es muss schon gestern gut ausgesehen haben», sagte Kenny, «und dann tun wir hier vor Ort unser Bestes, dass es auch bald so ist.
Jerry will über Nacht freie Märkte, und die müssen wir ihm liefern.» («Jerry»
war Paul Bremer, der Obermacher in Bagdad, dem Kenny vielleicht sogar begegnet war, vielleicht aber auch nicht.) In Joeys müßigen Momenten im Büro, besonders an den Wochenenden, chattete er
mit Collegefreunden, die unbezahlte Praktika absolvierten oder in ihrer Heimatstadt
Burger wendeten und ihn mit Neid und Glückwünschen überschütteten, dass er den
geilsten Sommerjob überhaupt an Land
gezogen hatte. Ihm war, als wäre sein Leben, das die Anschläge vom 11.
September aus der Bahn geworfen hatten, wieder voll auf seinem sensationellen
Aufwärtskurs.
Eine Weile
wurde seine Zufriedenheit nur davon überschattet, dass Jenna ihren Besuch in
Washington mehrmals verschob. Ein wiederkehrendes Gesprächsthema war ihre
Sorge, dass sie sich nicht genug die Hörner abgestoßen hatte, bevor sie sich
auf Nick einließ. («Ich weiß nicht, ob es richtig zählt, dass ich an der Duke
ein Jahr lang rumgeludert habe», sagte sie.) Joey vernahm in ihrer Sorge das
Raunen einer Gelegenheit und war völlig verwirrt, als sie, trotz der zunehmend
offenen Koketterie in ihren Telefonaten, zweimal den Plan, ihn zu besuchen,
über den Haufen warf, und noch verwirrter, als er von Jonathan erfuhr, dass sie
bei ihren Eltern in McLean gewesen
war, ohne sich zu melden.
Dann, am
Vierten Juli, anlässlich eines Besuchs zu Hause, den er nur abstattete, um nett
zu sein, vertraute er seinem Vater die Einzelheiten seiner Arbeit bei RISEN in der Hoffnung an, ihn mit der Höhe seines Gehalts und dem Umfang
seiner Verantwortung zu beeindrucken, doch es fehlte nicht viel, und sein
Vater hätte ihn auf der Stelle verstoßen. Bis dahin
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