Franzen, Jonathan
Ich hatte den Eindruck -»
«Ja? Was
hattest du für einen Eindruck?»
«Ich hatte
den Eindruck, dass ich gestört habe. Aber als ich dann einen Abgang machen
wollte -»
«Mann, du
bist ja wirklich ein Arsch.»
Richard
nickte, als wäre es ihm herzlich egal, was sie von ihm hielt, oder als hätte er
bescheuerte Frauen, die bescheuerte Sachen zu ihm sagten, satt. «Als ich einen
Abgang machen wollte», sagte er, «hast du den Wink einfach ignoriert. Kein
Problem, das ist deine Sache, aber dir sollte schon klar sein, dass du Walter
irgendwie das Herz brichst.»
«Darüber
möchte ich nun wirklich nicht mit dir reden.»
«Schön.
Dann lassen wir's. Aber du verbringst doch viel Zeit mit ihm, stimmt's?
Praktisch jeden Tag, stimmt's? Seit Wochen und Wochen.»
«Wir sind
Freunde. Klar machen wir viel zusammen.»
«Nett. Und
du kennst die Lage in Hibbing.»
«Ja. Seine
Mutter braucht Hilfe im Motel.» Richard lächelte auf eine unangenehme Art. «Das
ist alles, was du weißt?»
«Na ja,
und dass es seinem Vater nicht gutgeht und dass seine Brüder rein gar nichts
tun.»
«Das hat
er dir also erzählt. Mehr weißt du nicht.»
«Sein
Vater hat Emphyseme. Und seine Mutter irgendwelche Gebrechen.»
«Und er
arbeitet fünfundzwanzig Stunden die Woche auf dem Bau und fährt ständig
Bestnoten an der juristischen Fakultät ein. Und trotzdem ist er jeden Tag zur
Stelle und hat alle Zeit der Welt, um was mit dir zu unternehmen. Wie schön für
dich, dass er so viel Zeit hat. Aber du bist ja auch eine gutaussehende Tusse,
du hast es verdient, stimmt's? Und dann hast du auch noch diese schreckliche
Verletzung. Das und das gute Aussehen: das gibt dir
das Recht, ihm nicht mal Fragen zu stellen.»
Patty
kochte, so unfair fühlte sie sich behandelt. «Weißt du», sagte sie mit
stockender Stimme, «er redet davon, was für ein Arsch du Frauen gegenüber bist.
Davon redet er.»
Das schien
Richard nicht im Geringsten zu interessieren. «Ich versuche das alles nur damit
zusammenzubringen, dass du mit Klein-Eliza so dicke warst», sagte er. «Was mir
jetzt schon eher einleuchtet. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, war das
anders. Da kamst du mir wie ein nettes Mädchen aus der Vorstadt vor.»
«Dann bin
ich also auch ein Arsch. Ist es das, was du mir damit sagen willst? Ich bin ein
Arsch, und du bist ein Arsch.»
«Klar. Wie
du meinst. Ich bin nicht okay, du bist nicht okay. Egal. Ich bitte dich nur,
Walter gegenüber kein Arsch zu sein.»
«Das bin
ich doch gar nicht!»
«Ich sage
dir nur, was ich sehe.»
«Tja, da
siehst du wohl irgendwas falsch. Ich habe Walter wirklich gern. Er bedeutet
mir viel.»
«Und
trotzdem scheinst du keine Ahnung zu haben, dass sein Vater bald an
Leberzirrhose sterben wird und sein älterer Bruder wegen grob rücksichtslosen
Fahrens im Gefängnis sitzt und der andere Bruder seinen ganzen Sold dafür
ausgibt, die Raten für seine alte Corvette abzuzahlen.
Und dass Walter im Durchschnitt ungefähr vier Stunden pro Nacht schläft,
während du einfach so mit ihm befreundet bist und Sachen mit ihm unternimmst,
nur damit du zu uns kommen und mit mir flirten kannst.»
Patty
wurde ganz still.
«Das
wusste ich tatsächlich nicht alles», sagte sie nach einer Weile. «Nicht so
genau. Aber wenn du ein Problem damit hast, dass jemand mit dir flirtet,
solltest du nicht mit Walter befreundet sein.»
«Ach so.
Es ist meine Schuld. Verstehe.»
«Na ja,
tut mir leid, aber irgendwie schon.»
«Mein
Plädoyer ist abgeschlossen», sagte Richard. «Du musst erst mal Ordnung in
deinem Kopf schaffen.»
«Das weiß
ich selbst», sagte Patty. «Aber ein Arsch bist du trotzdem.»
«Pass auf,
ich nehme dich mit nach New York, wenn es das ist, was du willst. Zwei Ärsche
unterwegs. Könnte lustig werden. Aber wenn du das wirklich willst, dann tu mir
einen Gefallen und hör auf, Walter zappeln zu lassen.»
«Gut.
Bitte bring mich jetzt nach Hause.»
Vielleicht
war das Nikotin daran schuld, dass sie die ganze Nacht wach lag und den Abend
in Gedanken immer wieder durchspielte, um Ordnung in ihrem Kopf zu schaffen,
wie Richard es von ihr gefordert hatte. Aber es war ein sonderbares geistiges
Kabuki, denn bei allem permanenten Kreisen um die Frage, was für ein Mensch sie
war und wie ihr Leben einmal aussehen würde, stand doch eines in ihrem
Innersten unabänderlich fest: Sie wollte diese Autotour mit Richard machen,
mehr noch, sie würde sie machen. Die traurige Wahrheit war die, dass ihr
Gespräch im Auto
Weitere Kostenlose Bücher