Franzen, Jonathan
ihr vor wie das
akustische Äquivalent von zu viel Nikotin im Blut. Selbst bei niedriger
Lautstärke (Walter, versteht sich, war pathologisch rücksichtsvoll gegenüber
den Nachbarn) verursachte er ihr Übelkeit und Beklemmung. Sie spürte Richards
Augen auf sich, während sie seinem düsteren Bariton lauschte, und sie wusste,
dass sie sich hinsichtlich der Art seiner Blicke bei ihren früheren
Begegnungen nicht getäuscht hatte.
Um elf
herum konnte Walter das Gähnen nicht mehr unterdrücken.
«Es tut
mir so leid», sagte er. «Ich muss dich jetzt
nach Hause bringen.»
«Ich komme
auch allein klar. Zur Not kann ich mich ja mit meinen Krücken verteidigen.»
«Nein»,
sagte er. «Wir nehmen Richards Auto.»
«Nein, du
Armer musst schlafen. Vielleicht kann Richard mich fahren. Würdest du das
machen?», fragte sie ihn.
Walter
schloss die Augen und seufzte kläglich, als würde das seine Kräfte übersteigen.
«Klar»,
sagte Richard. «Ich fahre dich.»
«Sie muss sich erst noch dein Zimmer ansehen», sagte Walter mit weiterhin
geschlossenen Augen.
«Nur zu»,
sagte Richard. «Sein Zustand spricht für sich.»
«Nein, ich
möchte eine Führung», sagte Patty und blickte ihn herausfordernd an.
Die Wände
und die Decke des Raums waren schwarz gestrichen, und die punkige Unordnung,
die im Wohnzimmer dank Walters Einfluss gebändigt worden war, kam hier mit
aller Macht zum Ausbruch. LPs und
LP-Hüllen, wo man auch hinsah, dazu mehrere Spucknäpfe, eine weitere Gitarre,
überquellende Bücherregale, ein Durcheinander von Socken und Unterhosen und
zerwühlte dunkle Bettwäsche, die die interessante und nicht unangenehme Vorstellung
heraufbeschwor, dass Eliza darin kräftig radiert worden war.
«Schöne,
fröhliche Farbgebung!», sagte Patty. Walter gähnte wieder. «Ich werd's
natürlich neu streichen.»
«Es sei
denn, Patty hat es gern schwarz», sagte Richard vom Türrahmen aus.
«Über
Schwarz habe ich noch nie nachgedacht», sagte Patty. «Schwarz ist interessant.»
«Sehr
beruhigende Farbe, finde ich», sagte Richard. «Und du ziehst also nach New
York», sagte sie. «Ja.»
«Nicht
schlecht. Wann?»
«In zwei
Wochen.»
«Ach,
genau zu der Zeit bin ich auch dort. Zur silbernen Hochzeit meiner Eltern. Da
ist irgendeine grausige Veranstaltung geplant.»
«Du kommst
aus New York?»
«Westchester
County.»
«Wie ich.
Aber wahrscheinlich aus einer anderen Gegend.»
«Na ja,
aus einem Vorort.»
«Garantiert
aus einer anderen Gegend als Yonkers.»
«Yonkers
habe ich ganz oft vom Zug aus gesehen.»
«Genau das
meine ich.»
«Fährst du
mit dem Auto nach New York?», sagte Patty. «Wieso?», sagte Richard. «Brauchst
du eine Mitfahrgelegenheit?»
«Hm,
vielleicht! Hast du eine anzubieten?»
Er
schüttelte den Kopf. «Muss ich erst drüber nachdenken.»
Dem armen
Walter fielen die Augen zu; er war buchstäblich blind für diese Unterhandlung.
Patty selbst war vor schlechtem Gewissen und Verwirrung ganz kurzatmig und
hangelte sich auf ihren Krücken flink zur Wohnungstür, von wo sie ihm, aus der
Ferne, einen Dank für den Abend zurief.
«Es tut mir
leid, dass ich so müde geworden bin», sagte er. «Bist du sicher, dass ich dich
nicht nach Hause fahren soll?»
«Ich mach
das schon», sagte Richard. «Du gehst ins Bett.»
Walter sah
wirklich jammervoll aus, aber das lag vielleicht auch nur an seiner Erschöpfung.
Draußen auf der Straße, in der begünstigend lauen Luft, gingen Patty und
Richard schweigend nebeneinanderher, bis sie an seinem rostigen Impala
ankamen. Richard schien bemüht, sie nicht zu berühren, während sie sich ohne
seine Hilfe in den Wagen setzte und ihm ihre Krücken herausreichte.
«Ich hatte
einen Bus erwartet», sagte sie, als er dann neben ihr saß. «Ich dachte, alle
Bands hätten Busse.»
«Den Bus
hat Herrera. Das hier ist mein privates Transportmittel.»
«Und
hiermit würde ich nach New York fahren.»
«Ja, pass auf.» Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. «Du musst jetzt mal
Nägel mit Köpfen machen. Weißt du, was ich meine? Das ist sonst Walter
gegenüber nicht fair.»
Sie
blickte starr geradeaus durch die Windschutzscheibe. «Was ist nicht fair?»
«Ihm
Hoffnung zu machen. Ihn hinzuhalten.»
«Und du
meinst, das tue ich?»
«Er ist
ein außergewöhnlicher Mensch. Sehr, sehr ernsthaft. Du musst schon ein bisschen
behutsam mit ihm umgehen.»
«Ich
weiß», sagte sie. «Das brauchst du mir nicht zu sagen.»
«Und warum
bist du dann zu uns gekommen?
Weitere Kostenlose Bücher