Franzen, Jonathan
auf
jeden Fall die Miete für Juni.»
«Das ist
doch unsinnig, wenn du da gar nicht einziehst.»
«Ach,
wahrscheinlich tue ich das ja. Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher.»
«Ah.»
«Ich
möchte schon, ich bin mir nur nicht ganz sicher. Also, wenn du einen anderen
Mieter findest, solltest du ihn wahrscheinlich nehmen. Aber ich zahle auf jeden
Fall für Juni.»
Walter
schwieg erneut, bevor er, offenkundig mutlos geworden, sagte, er müsse jetzt
auflegen.
Davon
angespornt, dass sie dieses schwierige Gespräch über die Bühne gebracht hatte,
rief sie Richard an und versicherte ihm, sie habe das Nägel-mit-Köpfen-Machen
erledigt, woraufhin Richard sagte, dass sein Abfahrtstermin noch nicht ganz
feststehe und es da außerdem ein paar Konzerte in Chicago gebe, die er auf der
Durchreise gern mitnehmen würde.
«Solange
ich spätestens nächsten Samstag in New York bin», sagte Patty.
«Stimmt,
die Silberhochzeit. Wo findet die statt?»
«Im Mohonk
Mountain House, aber ich muss nur irgendwie nach Westchester kommen.»
«Mal
sehen, was sich machen lässt.»
Eine
längere Autotour mit einem Mann am Steuer zu unternehmen, dem man, wie
vielleicht alle Frauen, auf den Wecker fällt, ist nicht so lustig, aber das
begriff Patty erst, nachdem sie es ausprobiert hatte. Die Probleme begannen
mit dem Abfahrtstermin, der ihretwegen vorverlegt werden musste. Dann gab es
eine Verzögerung, weil irgendetwas an Herreras Bus kaputt war, und da Richard
in Chigaco bei Freunden von Herrera übernachten wollte und Patty dabei gar
nicht eingeplant war, versprach es auch an dieser Front Unannehmlichkeiten zu
geben. Patty war im Übrigen nicht besonders gut darin, Entfernungen zu
berechnen, und als Richard sie mit drei Stunden Verspätung abholte und sie erst
am frühen Abend in Minneapolis aufbrachen,
machte sie sich nicht klar, wie spät sie in Chicago ankommen würden und wie
wichtig es deshalb war, auf der I -94 Strecke zu
machen. Es war ja nicht ihre Schuld,
dass sie so spät losgefahren waren. Sie fand es nicht übertrieben, ihn in der
Nähe von Eau Claire zu bitten, kurz anzuhalten, damit sie aufs Klo gehen könne,
und eine Stunde später, in der Nähe von gar nichts, zu verkünden, sie würde
gern etwas essen. Dies war ihre Autotour, und sie hatte die Absicht, sie zu
genießen! Aber die Rückbank war voller Ausrüstung, die Richard nicht aus den
Augen zu lassen wagte, und seine eigenen elementaren Bedürfnisse waren durch
seinen Kautabak hinlänglich befriedigt (er hatte einen großen Spucknapf vor
sich auf dem Boden stehen), und obgleich er sich nicht ausdrücklich beklagte,
wie sehr ihre Krücken alles, was sie tat, verlangsamten und erschwerten, sagte
er Patty auch nicht, dass das schon in Ordnung sei und sie sich ruhig Zeit
lassen solle. Und auf dem ganzen Weg durch Wisconsin, jede einzelne Minute
davon, spürte sie, seiner Kurzangebundenheit und seines kaum verhohlenen Ärgers
über ihre vollkommen nachvollziehbaren menschlichen Bedürfnisse zum Trotz, den
beinahe physischen Druck, der von seinem Interesse am Vögeln herrührte,
und auch das war der Stimmung im Auto nicht gerade zuträglich. Nicht, dass sie
nicht stark von ihm angezogen gewesen wäre. Aber sie brauchte ein Mindestmaß
an Zeit und Raum zum Atmen, und selbst unter Berücksichtigung ihrer damaligen
Jugend und Unerfahrenheit ist es der Autobiographin peinlich zu berichten, dass
sie sich diese Zeit und diesen Raum erkaufte, indem sie das Gespräch,
widersinnig genug, auf Walter lenkte.
Zuerst
wollte Richard nicht über ihn sprechen, aber als sie ihn schließlich so weit
hatte, erfuhr sie eine ganze Menge über Walters Collegejahre. Über die
Symposien, die er organisiert hatte - zum Thema Überbevölkerung, zum Thema
Reform des Wahlmänner-Gremiums - und zu denen so gut wie keine Studenten
erschienen waren. Über die wegweisende New-Wave-Musiksendung, die er vier Jahre
lang im Campusradio moderiert hatte. Über seine Unterschriftenaktion für
besser isolierte Fenster in den Studentenwohnheimen des Macalester. Über seine
Leitartikel für die Collegezeitung bezüglich der Essenstabletts zum Beispiel,
mit denen er es, während er am Geschirrförderband jobbte, zu tun bekam: dass er
ausgerechnet hatte, wie viele Familien in St. Paul von den Resten eines einzigen
Abends ernährt werden könnten, und seinen Kommilitonen zu Bewusstsein bringen
wollte, dass sie anderen Menschen Arbeit machten, wenn sie ihre Erdnussbutter
überallhin schmierten, und sich
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