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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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philosophisch mit der Angewohnheit seiner
Kommilitonen auseinandersetzte, dreimal so viel Milch wie nötig über ihre Cornflakes zu gießen und dann randvolle Schüsseln nicht mehr brauchbarer Milch
auf ihren Tabletts stehen zu lassen - glaubten sie denn, Milch sei ein
kostenloses und unerschöpfliches Gut wie Wasser und habe, ökologisch
betrachtet, nicht den geringsten Pferdefuß? Richard erzählte all dies in dem
gleichen Beschützerton, den er Patty gegenüber schon zwei Wochen zuvor
angeschlagen hatte, einem Ton eigenartig zärtlichen Bedauerns Walters wegen,
so, als spürte er selbst den Schmerz, den Walter sich zuzog, indem er sich die
Hörner an harten Realitäten wund stieß.
    «Hatte er
Freundinnen?», fragte Patty.
    «Er hat
sich immer in die Falschen verliebt», sagte Richard. «Die Unerreichbaren. Die
schon einen Freund hatten. Die künstlerisch Veranlagten, die in anderen Kreisen
verkehrten. Es gab da eine Studentin im zweiten Studienjahr, über die er die
ganze letzte Zeit am College nicht hinweggekommen ist. Er hat ihr seinen
Freitagabend-Sendeplatz im Radio abgetreten und dafür einen Dienstagnachmittag
genommen. Ich hab's zu spät mitgekriegt, um es zu verhindern. Er hat ihre
Referate umgeschrieben, sie in Konzerte geschleppt. Es war grässlich
mitanzusehen, wie sie mit ihm umgesprungen ist. Sie tauchte immer zur Unzeit
bei uns im Zimmer auf.»
    «Komisch»,
sagte Patty. «Woran das wohl lag.»
    «Er hört
nie auf meine Warnungen. Kann ein fürchterlicher Sturkopf sein. Und was man
nicht unbedingt bei ihm vermuten würde: Aussehen ist ihm wichtig. Hübsches
Gesicht, gute Figur. Da entwickelt er richtigen Ehrgeiz. Was ihm auf dem
College keine glücklichen Zeiten beschert hat.»
    «Und diese
Studentin, die andauernd bei euch im Zimmer aufgetaucht ist, wie fandst du
die?»
    «Ich
fand's nicht gut, wie sie mit Walter umging.»
    «Das ist
irgendwie ein Tick von dir, oder?»
    «Sie hatte
einen beschissenen Geschmack und einen Freitagabend-Sendeplatz. Irgendwann gab
es nur noch einen Weg, ihm klarzumachen, mit was für einer Tusse er sich da
abgab.»
    «Ach so,
du hast ihm also einen Gefallen getan. Klar.»
    «Die Welt
ist voller Moralisten.»
    «Nein, im
Ernst, ich verstehe schon, warum du uns nicht respektieren kannst. Wenn du
Jahr für Jahr für Jahr immer wieder Mädchen kennenlernst, die wollen, dass du
deinen besten Freund betrügst. Das bringt dich natürlich in eine seltsame
Lage.»
    «Dich
respektiere ich», sagte Richard.
    «Hahaha.»
    «Du hast
was im Kopf. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns im Sommer wiedersehen
würden, falls du Lust hast, es mal mit New York zu versuchen.»
    «Das
erscheint mir nicht sehr praktikabel.»
    «Ich sage
ja auch nur, es wäre schön.»
    Sie hatte
ungefähr drei Stunden, um sich dieser Phantasie hinzugeben - auf die
Rücklichter der Autos starrend, die in einem fort der großen Metropole
entgegenrasten, fragte sie sich, wie es wohl wäre, Richards Tusse zu sein,
fragte sich, ob es einer Frau, die er respektierte, vielleicht gelingen würde,
ihn zu ändern, stellte sich vor, nie wieder nach Minnesota zurückzukehren,
versuchte die Wohnung vor sich zu sehen, die sie vielleicht für sich finden
würden, genoss den Gedanken, Richard auf ihre geringschätzige mittlere Schwester
loszulassen, malte sich die Fassungslosigkeit ihrer Familie aus, wenn sie sähe,
wie cool sie geworden war, stellte sich ihr nächtliches Radiertwerden vor -,
ehe sie in der Wirklichkeit von Chicagos South Side ankamen. Es war zwei Uhr morgens, und Richard konnte das Wohnhaus von
Herreras Freunden nicht finden. Immer wieder versperrten ihnen Rangiergleise
und ein dunkler, geisterhafter Fluss den Weg. Die Straßen waren verwaist,
abgesehen von Schwarztaxis und dem einen oder anderen furchteinflößenden
farbigen Jugendlichen, über die man in der Zeitung las.
    «Eine
Karte wäre vielleicht hilfreich gewesen», sagte Patty.
    «Es ist
eine Nummernstraße. Dürfte nicht so schwierig sein.»
    Herreras
Freunde waren Künstler. Das Gebäude, in dem sie wohnten und das Richard
schließlich mit der Hilfe eines Taxifahrers ausfindig machte, sah aus, als
stünde es leer. Es gab eine Klingel, die an zwei Drähten baumelte und
erstaunlicherweise funktionierte. Irgendjemand schob hinter einem der Fenster
ein Stück Stoff beiseite und kam dann herunter, um sich bei Richard zu beschweren.
    «Tut mir
leid, Mann», sagte Richard. «Wir sind aufgehalten worden, war nicht zu ändern.
Wir müssen hier bloß für

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