Franzen, Jonathan
nicht das Zeug dazu. Er hat sich selbst
überrascht!»
«Ja, aber
es ist kein realistischer Film. Der Mann in der Zeitung sah nicht nur so aus
wie der Schauspieler, er war es. Und
wenn er sich einfach der Polizei gestellt hätte, dann hätte er am Ende alles
aufklären können. Sein Fehler war, dass er weggelaufen ist. Deshalb meine ich,
es ist eine Parabel. Eine realistische Geschichte ist das nicht.»
Patty kam
sich merkwürdig dabei vor, in Walters Gesellschaft Wein zu trinken, weil Walter
Abstinenzler war, aber irgendwie ritt auch sie der Teufel, und im Nu hatte sie
eine ganze Menge intus. «Nimm mal deine Brille ab», sagte sie.
«Nein»,
sagte er. «Dann sehe ich dich nicht mehr.»
«Egal. Ich bin's nur. Patty. Nimm sie ab.»
«Aber ich
sehe dich gern! Ich sehe dich so gern an!»
Ihre
Blicke trafen sich.
«Möchtest
du deshalb mit mir zusammenwohnen?», sagte Patty.
Er wurde
rot. «Ja.»
«Dann
sollten wir uns deine Wohnung vielleicht mal ansehen, damit ich mich
entscheiden kann.»
«Jetzt
gleich?»
«Ja.»
«Bist du
nicht müde?»
«Nein, bin
ich nicht.»
«Wie geht
es deinem Knie?»
«Meinem
Knie geht es ganz wunderbar, danke.»
Ausnahmsweise
dachte sie diesmal nur an Walter. Hätte man sie, während sie sich in der
milden, begünstigend lauen Mailuft auf ihren Krücken die 4 th Street entlanghangelte, gefragt, ob sie mit halbem Herzen hoffte,
Richard in der Wohnung anzutreffen, hätte sie nein gesagt. Sie wollte jetzt Sex, und
wenn Walter auch nur einen Funken Gespür dafür gehabt hätte, wäre er, als er
hinter seiner Wohnungstür Fernsehgeräusche hörte, auf der Stelle wieder
umgekehrt und woanders mit ihr hingegangen, ganz egal, wohin, in ihr Zimmer
vielleicht, egal. Aber Walter glaubte an die wahre Liebe und scheute sich
offenbar, Patty zu berühren, ehe er nicht ganz sicher war, dass seine Gefühle
erwidert wurden. Er führte sie geradewegs in seine Wohnung, wo Richard im
Wohnzimmer saß, die nackten Füße auf dem Couchtisch, eine Gitarre auf dem
Schoß, neben sich auf dem Sofa einen Spiralblock. Er sah einen Kriegsfilm,
hatte eine Riesenpepsi in Arbeit und spuckte Tabaksaft in eine leere 8oo -Gramm-Tomatendose. Ansonsten war das Zimmer ordentlich
und sauber.
«Ich
dachte, du wärst auf einem Konzert.»
«War
scheiße», sagte Richard.
«Du
erinnerst dich doch sicher noch an Patty?»
Patty
hangelte sich schüchtern ein Stück vor, sodass sie besser zu sehen war. «Hallo,
Richard.»
«Patty,
die nicht als groß gilt.»
«Genau.»
«Und
trotzdem bist du ziemlich groß. Freut mich, dass Walter dich endlich mal
hierher gelockt hat. Ich dachte schon, das würde nie passieren.»
«Patty
überlegt, den Sommer über hier zu wohnen», sagte Walter.
Richard
hob die Augenbrauen. «Ach.»
Er war
schlanker, jünger und sexuell anziehender, als sie ihn in Erinnerung gehabt
hatte. Und es war schrecklich, wie sie von einer Sekunde auf die andere am
liebsten geleugnet hätte, überlegt zu haben, hier mit Walter zu wohnen und in
dieser Nacht mit ihm ins Bett zu gehen. Aber dass sie hier stand, ließ sich
beim besten Willen nicht leugnen. «Ich suche etwas, das in der Nähe der Sporthalle
liegt», sagte sie.
«Klar.
Leuchtet ein.»
«Sie würde
sich dein Zimmer gern mal ansehen», sagte Walter.
«Ist im
Moment ein ziemlicher Saustall.»
«Du sagst
das so, als wäre es nicht immer einer», sagte Walter mit einem fröhlichen
Lachen.
«Es gibt
Zeiten relativer Unsaustallmäßigkeit», sagte Richard. Er schaltete mit einem
ausgestreckten Zeh den Fernseher ab. «Wie geht's deiner Freundin Eliza?»,
fragte er Patty.
«Sie ist
nicht mehr meine Freundin.»
«Das habe
ich dir doch erzählt», sagte Walter.
«Ich
wollte es aus erster Hand hören. Die Tusse hat einen ganz schönen Schaden, was?
War ja nicht sofort offensichtlich, aber Mannomann. Später dann schon.»
«Ich habe
den gleichen Fehler gemacht», sagte Patty.
«Nur
Walter hat die Wahrheit sofort erkannt. Die Wahrheit über Eliza. Kein
schlechter Titel übrigens: The Truth About Eliza.»
«Mein
Vorteil war es, dass sie mich auf den ersten Blick gehasst hat», sagte Walter.
«Dadurch konnte ich sie klarer sehen.»
Richard
schlug seinen Notizblock zu und spuckte braunen Speichel in die Dose. «Ich
lass euch dann mal allein.»
«Woran
arbeitest du gerade?», fragte Patty.
«An dem
üblichen Scheiß, den sich kein Mensch anhören kann. Ich wollte irgendwas über
diese Margaret-Thatcher-Tusse machen. Die neue Premierministerin von
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