Franzen, Jonathan
vergoldet war. Wenn er Sonnenschein wirklich hasste,
so wie er es in seinem alten Song behauptete, dann war der Norden von Minnesota
im Juni für ihn ein heikler Aufenthaltsort. Die Tage waren so lang, dass man
sich fragte, warum der Sonne am Ende nicht der Kraftstoff ausging. Sie brannte
einfach immer weiter. Patty gab einem Impuls nach, sich zwischen die Beine zu
fassen, wie um den feuchten Schock zu spüren, ohne dass sie selber schwimmen
ging. Bin ich noch lebendig? Habe ich einen Körper?
Die
Kartoffelstücke, die sie geschnitten hatte, waren sehr seltsam geformt. Sie
sahen aus wie geometrische Denksportaufgaben.
Nachdem er
geduscht hatte, kam Richard in einem T-Shirt ohne Aufdruck, das ein paar
Jahrzehnte zuvor wohl einmal knallrot gewesen war, in die Küche. Sein Haar war
für den Moment gebändigt und von einem jugendlichen, glänzenden Schwarz.
«Du hast
im Winter dein Aussehen verändert», sagte er zu Patty.
«Nein.»
«Was heißt
hier ? Du hast eine andere Frisur, du siehst toll aus.»
«So anders
ist die Frisur doch gar nicht. Kaum der Rede wert.»
«Und -
möglicherweise ein bisschen zugenommen?»
«Nein.
Naja. Ein bisschen.»
«Das steht
dir gut. Du siehst besser aus, wenn du nicht so dünn bist.»
«Ist das
eine nette Art zu sagen, dass ich dick geworden bin?»
Er schloss
die Augen und verzog das Gesicht, als müsste er sich bemühen, geduldig zu
bleiben. Dann öffnete er sie wieder und sagte: «Was soll der Quatsch?»
«Hm?»
«Willst
du, dass ich abfahre? Ist es das? Du benimmst dich die ganze Zeit so komisch,
dass ich den Eindruck habe, du fühlst dich in meiner Gegenwart nicht wohl.»
Das Huhn
im Ofen roch so ähnlich wie Dinge, die sie früher gegessen hatte. Sie wusch
sich die Hände und trocknete sie ab, kramte tief hinten in einem nicht restlos
aufgearbeiteten Schrank und fand eine mit Baustaub bedeckte Flasche Kochsherry.
Sie goss sich ein Saftglas davon voll und setzte sich zu ihm an den Tisch. «Na
gut, ganz ehrlich? Es macht mich ein bisschen nervös, dass du hier bist.»
«Muss es
nicht.»
«Ich
kann's nicht ändern.»
«Es gibt
keinen Grund dafür.»
Das war genau
das, was sie nicht hatte hören wollen. «Ich trinke nur dieses eine Glas», sagte
sie.
«Du bist
da irgendeinem Irrtum aufgesessen - es schert mich einen Dreck, wie viel du
trinkst.»
Sie
nickte. «Na dann. Schön. Gut zu wissen.»
«Du
hättest also die ganze Zeit gern was getrunken? Mann. Dann trink doch was.»
«Genau das
tue ich ja gerade.»
«Weißt du,
du bist ein merkwürdiger Mensch. Das meine ich als Kompliment.»
«Kompliment
angenommen.»
«Walter
hat sehr, sehr viel Glück gehabt.»
«Ha, also,
das ist ja das Dumme, oder? Ich bin mir nicht sicher, ob er das noch so sieht.»
«0 doch. Das
tut er. Glaub mir, das tut er.»
Sie
schüttelte den Kopf. «Ich wollte sagen, dass er sicher nicht das Merkwürdige an
mir mag. Das gute Merkwürdige geht ja vielleicht noch, aber von dem schlechten
Merkwürdigen ist er nicht so begeistert, und ausgerechnet das schlechte
Merkwürdige ist es, womit er es in letzter Zeit hauptsächlich zu tun bekommt.
Ich wollte sagen, es ist paradox, dass du, den das
schlechte Merkwürdige an mir nicht zu stören scheint, nicht derjenige bist, mit
dem ich verheiratet bin.»
«Du
würdest nicht mit mir verheiratet sein wollen.»
«Nein, das
wäre bestimmt schlimm. Ich kenne die Geschichten.»
«Schade,
aber es überrascht mich nicht.»
«Walter
erzählt mir alles.»
«Klar.»
Draußen
auf dem See schnatterte eine Ente wegen irgendetwas. Stockenten nisteten am
schilfreichen anderen Ufer.
«Hat
Walter dir gegenüber mal erwähnt, dass ich Blakes Winterreifen zerstochen
habe?», sagte Patty.
Richard
zog die Augenbrauen hoch, und sie erzählte ihm die Geschichte.
«Das ist
ja richtig krank», sagte er bewundernd, als sie mit dem Erzählen fertig war.
«Irgendwie
schon, oder?»
«Weiß
Walter denn davon?»
«Hm. Gute
Frage.»
«Ich nehme
mal an, dass du ihm nicht alles
erzählst.»
«Ach,
Richard, ich erzähle ihm überhaupt nichts.»
«Ich
glaube, das könntest du ruhig. Du würdest vielleicht feststellen, dass er viel
mehr über dich weiß, als du's für möglich hältst.»
Sie holte
tief Luft und fragte ihn, was für geheime Dinge Walter denn über sie wisse.
«Zum
Beispiel, dass du nicht glücklich bist», sagte Richard.
«Dazu
bedarf es allerdings keiner großen Hellseherei. Was noch?»
«Dass du
ihm die Schuld an Joeys Auszug
gibst.»
«Ach
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