Franzen, Jonathan
allerersten Tage mit Walter in
Hibbing zurück. Die frische Luft und die feuchte Erde, die Gerüche der
Koniferen, der Morgen ihres Lebens. Ihr war, als wäre sie nie jünger gewesen
als mit einundzwanzig. Als hätte ihre Kindheit in Westchester, die doch chronologisch davor lag, in einer späteren, verloreneren Zeit
stattgefunden. Im Haus hing ein leichter, angenehmer muffiger Geruch, der an Dorothy erinnerte. Draußen auf dem See, den Joey und Patty namenlos genannt
hatten, gerade erst vom Eis befreit und dunkel vor Rindenstücken und Nadeln,
spiegelten sich helle Schönwetterwolken. Im Sommer verdeckten laubtragende
Bäume das einzige andere Haus in der Nähe, das an Wochenenden und im August von
einer Familie namens Lundner genutzt wurde. Zwischen dem Berglund'schen Haus
und dem See lag ein grüner, mit ein paar ausgewachsenen Birken bestandener
Hügel, und wenn die Sonne oder eine Brise die Mücken abschreckte, konnte Patty
stundenlang mit einem Buch im Gras liegen und sich vollkommen von der Welt
entrückt fühlen, abgesehen von den seltenen Flugzeugen am Himmel oder den noch
selteneren Autos, die auf der ungepflasterten Landstraße vorbeifuhren.
Am Tag
bevor Walter nach Saskatchewan aufbrach,
begann ihr Herz zu rasen. Dieses Rasen, es fiel ihrem Herzen einfach so ein. Am
nächsten Morgen, nachdem sie Walter zu dem kleinen Flugplatz in Grand Rapids gefahren hatte und zum Haus zurückgekehrt war, raste es so sehr, dass
ihr beim Anrühren des Pancake-Teigs ein Ei aus der Hand rutschte und auf den
Boden fiel. Sie legte die Hände auf die Arbeitsplatte und atmete ein paarmal
tief durch, bevor sie sich hinkniete, um es aufzuwischen. Die Feinarbeiten in
der Küche, so war es verabredet gewesen, würde Walter irgendwann später übernehmen,
aber das Verlegen der neuen Bodenfliesen hätte innerhalb von Richards
Möglichkeiten liegen sollen, er war nur noch nicht dazu gekommen. Dafür könne
man allerdings positiv verbuchen, so hatte Richard ihnen erklärt, dass er sich
zwischenzeitlich das Banjospielen beigebracht habe.
Die Sonne
stand zwar schon seit vier Stunden am Himmel, aber es war noch ziemlich früh am
Morgen, als er in Jeans und einem T-Shirt, das seine Unterstützung für
Subcomandante Marcos und die Befreiung von Chiapas kundtat, aus seinem Zimmer kam.
«Buchweizen-Pancakes?»,
sagte Patty strahlend.
«Klingt
grandios.»
«Ich
könnte dir auch ein paar Eier braten, wenn dir das lieber ist.»
«Ich mag Pancakes. »
«Bisschen
Speck wäre auch kein Problem.»
«Bei Speck
sage ich nicht nein.»
«Schön!
Dann also Pancakes und
Speck.»
Falls
Richards Herz ebenfalls raste, gab er es nicht zu erkennen. Sie stand da und
sah zu, wie er zwei Stapel Pancakes verdrückte,
wobei er die Gabel auf jene kultivierte Art hielt, die Walter ihm, wie sie
zufällig wusste, zu Beginn des Studiums beigebracht hatte.
«Was hast
du heute vor?», sagte er mit mäßigem bis geringem Interesse.
«Oh.
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Nichts! Ich bin ja im Urlaub. Ich
glaube, ich nehme mir heute Vormittag einfach gar nichts weiter vor, und dann
mache ich dir irgendwas zu essen.»
Er nickte
und aß, und ihr wurde bewusst, dass sie wie so oft Phantasien nachhing, die
letztlich keinerlei Bezug zur Wirklichkeit hatten. Sie ging ins Badezimmer und
setzte sich mit rasendem Herzen auf den geschlossenen Klodeckel, bis sie hörte,
wie Richard hinausging und mit Holz zu hantieren begann. Die ersten Arbeitsgeräusche
eines anderen am frühen Morgen haben etwas gefahrvoll Trauriges an sich; es
ist, als empfände die Stille Schmerz dabei, gestört zu werden. Die erste
Minute eines Arbeitstages lässt einen an all die anderen Minuten denken, aus
denen sich ein Tag zusammensetzt, und es ist nie gut, Minuten einzeln zu
betrachten. Erst wenn andere Minuten sich zu dieser nackten, einsamen ersten
Minute hinzugesellt haben, findet der Tag in seinem Tagsein einen sichereren
Halt. Patty wartete ab, bis das geschehen war, bevor sie das Badezimmer
verließ.
Aus dem
unbestimmten, uralten Beweggrund, Richard mit ihrer Belesenheit zu imponieren,
nahm sie Krieg und Frieden mit zum Grashügel, aber sie
steckte in einer Militärpassage fest und las dieselbe Seite immer wieder. Ein
Vogel, den an seinem Gesang zu erkennen Walter ihr vergebens beizubringen
versucht hatte, eine Wilsondrossel vielleicht oder ein Video, gewöhnte sich an
ihre Anwesenheit und fing in einem Baum direkt über ihr an zu trällern. Sein
Lied war wie eine fixe Idee,
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