Franziskus, der neue Papst (German Edition)
New York, zurück an der St. Patrick’s Cathedral. Von hier aus hat die amerikanische Kirche einen Kampf gefochten, der zu Beginn ähnlich ausweglos schien wie der der Kathedrale gegen die Wolkenkratzer. Im Kern ging es um eine Passage aus der Gesundheitsreform Barack Obamas. Sie sah vor, betriebliche Krankenversicherungen dazu zu verpflichten, ihren Mitgliedern Verhütungsmittel oder die »Pille danach« zu bezahlen. Für den Chef der St. Patrick’s Cathedral, Kardinal Dolan, ein unannehmbares Vorhaben: »Das sollte nicht in einem Land passieren, in dem Religionsfreiheit im Grundgesetz garantiert wird.« Die Auseinandersetzung spaltete Amerika, zu Beginn des vergangenen Februars legte die Obama-Administration neue Pläne vor, die besonders religiösen Non-Profit-Organisationen einen größeren Spielraum einräumt. Entschieden ist damit noch nichts, Dolan kommentierte die neuen Vorlagen als »willkommen, um die Details zu studieren und zu diskutieren«. Unabhängig davon, wie dieses Studium und die Diskussion ausfällt, so hat die Causa »Dolan vs. Obama« gezeigt, dass der politische Einfluss der Kirche nach wie vor nicht zu unterschätzen ist. Zwar sorgen sich auch amerikanische Katholiken, da evangelikale Gruppen enormen Zufluss haben und in Verbindung mit der »Tea Party« extrem konservative bis fundamentalistische Positionen vertreten. Andererseits beweist die Stellung der Kirche, dass ein modernes Land nicht automatisch ein säkulares und auch nicht ein antikatholisches Land sein muss. Das ist insofern bemerkenswert, da die USA von den Missbrauchsskandalen in besonderer Weise erschüttert wurden. Das Vertrauen in die Institution »Kirche« hat darunter gelitten, das ist eindeutig. Gerade erst hat die Erzdiözese Los Angeles, deren Ex-Erzbischof und Kardinal Roger Mahony trotz Protesten am Konklave teilnahm, beschlossen, vier Missbrauchsopfern eine Entschädigung von gut 10 Millionen Dollar zu bezahlen. Damit ist Los Angeles keine Ausnahme. Seit Jahren entrichten Bistümer hohe Summen, manche Ordenseinrichtungen sind deshalb sogar pleitegegangen. Die neuen Vorwürfe, die rund um das Konklave laut wurden, haben gezeigt, dass es trotz verschärfter Regeln im Kampf gegen den Missbrauch für die amerikanische Kirche noch ein weiter Weg ist.
Eine andere interessante Entwicklung ist das gestiegene Selbstbewusstsein von Laien oder Frauengemeinschaften in Nordamerika. Aufsehen erregte der Fall der »Leadership Conference of Woman Religious« (LCWR). Der Dachverband der amerikanischen Ordensfrauen wurde vom Vatikan scharf kritisiert und überprüft. Rom war mit etlichen Positionen in Fragen der Sexualmoral oder Frauenordination nicht einverstanden. Offenbar war der Anstoß für das Verfahren gegen die Schwestern von anderen US-Nonnen gekommen, die sie als zu liberal und nicht konform mit den Lehren der Kirche einstuften. Der Fall verdeutlicht die Spannung, die in der Kirche selbst herrscht, hier sogar zwischen Ordensschwestern. Trotzdem haben viele der LCWR-Nonnen bewiesen, dass gerade die Frauen, die sowohl als Geweihte als auch als Nicht-Geweihte unverzichtbar für das Leben der Kirche sind, eine offensivere Rolle spielen. Sie sind nicht bereit, Anweisungen Roms einfach Folge zu leisten. Dieses Selbstbewusstsein wird genährt von einem Glauben an Gott, der trotz der Skandale nach wie vor beeindruckend stark und verbreitet ist. Die USA sind weitaus religiöser als die meisten Länder in Europa. Von dieser hohen Grund-Religiosität profitiert nach wie vor auch die Kirche, selbst wenn sie als moralische Instanz an Ansehen verloren hat. Man mag den Spektakel-Katholizismus, wie er in den USA gepflegt wird, persönlich übertrieben finden. Jedoch ändert das nichts an der Tatsache, dass sich die amerikanische Kirche besser auf manche neue Bedürfnisse der Gläubigen eingestellt hat. Erwiesenermaßen werden Veranstaltungen und Angebote auf mittlerer Ebene, also eher Diözesan- oder Dekanatsebene, immer wichtiger für die Menschen. Das liegt erstens daran, dass sich die Pfarreienstruktur in Nordamerika und Europa ändert. Zweitens ist die höhere Mobilität der Menschen entscheidend, die nicht mehr an ihre Pfarreikirche und ihren Heimatpfarrer gebunden sind, sondern auswählen können. Die amerikanische Kirche hat dieses religiöse Angebot-Nachfrage-Modell gut verinnerlicht und wirkt auf diese Weise in vielen Gegenden – besonders konservative Regionen einmal ausgenommen – flexibler und gläubigen-orientierter. Daraus
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