Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Vorgang. Der Papst konnte die Situation zwar nicht entspannen, fand jedoch beeindruckend offene und ermutigende Worte: »Als oberster Hirte der universalen Kirche möchte ich meinen innigen Dank an den Herrn für das Zeugnis der Treue zeigen, das die katholische Gemeinde in China unter wirklich schwierigen Umständen und im Leiden gegeben hat. Zugleich verspüre ich als meine innerste und unverzichtbare Pflicht und als Ausdruck meiner Vaterliebe die Dringlichkeit, die chinesischen Katholiken im Glauben zu bestärken und ihre Einheit mit den der Kirche eigenen Mitteln zu fördern.«
Die Kirchen in Ozeanien und Australien, in Nordamerika und in Europa stehen einerseits vor ähnlichen Herausforderungen. Erschüttert von Missbrauchsskandalen, hat sie dort viel an Glaubwürdigkeit und Vertrauen eingebüßt. Die Säkularisierung bereitet ihr zunehmend Probleme und zwingt sie, neue Antworten zu finden, die sie manchmal noch nicht hat. Man erlebt eine Kirche im Umbruch, das Erstarken des Südens und steht vor der Frage, wie die teilweise gravierenden Nord-Süd-Differenzen innerhalb der Kirche zu bewältigen sind. Zugleich gibt es Unterschiede: In Ozeanien und Australien nimmt die Zahl der Katholiken zu, in Nordamerika stagniert sie, in Europa nimmt sie ab. In Australien gibt es interessante Überschneidungen mit den Bräuchen der Ureinwohner zu beobachten, während Europa tiefgreifende Veränderungen erlebt und die bisherige Struktur eines flächendeckenden Katholizismus, der in vielen Ländern eine dominante Stellung hatte, wegbricht – übrigens durchaus nicht in jedem Fall ein Verlust. Die Neuevangelisierungs-Initiative soll die katholische Kirche neu in Stellung bringen, soll die christliche Botschaft wieder dorthin tragen, wo sie bereits hingehört, aber wieder vergessen wurde. Kein »neu«, sondern eher »retro«, selber Inhalt mit anderen Programmen und Methoden.
Die Stimmung der europäischen Katholiken ist oft nicht mal pessimistisch, sondern fatalistisch, als habe sich das christliche Abendland mit seinem Schicksal abgefunden, bald einfach nur noch Abendland zu sein. Selbst ur-katholische Länder straucheln, manche wie Irland sind durch die Missbrauchsskandale in eine tiefe Krise gestürzt, deren Ende nicht abzusehen ist. Es ist, als würde sich die »Alte Welt« wirklich alt fühlen, würde Dynamik und Wachstum anderen Regionen überlassen, würde das Dahinsiechen als seine Bestimmung begreifen. Milieu-Studien wie in Deutschland suggerieren das Bild einer Kirche, die gesellschaftlich irrelevant wird, deren Anhänger fast schon eine spirituelle Parallelgesellschaft bilden. Das Personal, um dieses Dahinsiechen zu kurieren, steht nicht zur Verfügung. Die Berufungszahlen sind gering, die wenigsten Priesterseminare oder Noviziate erhalten ausreichend Kandidaten. Es bleibt die Hoffnung auf Priester aus anderen Teilen dieser Welt als einzige Chance.
Zusätzlich fatal: In diesem allgemeinen Klagelied werden Aufbrüche überhört, Neubeginne nicht beachtet. Natürlich, die Kirche Europas verändert sich. Aber muss das a priori schlecht sein? In manchen Gegenden handelt es sich wirklich um ein Gesundschrumpfen, das neue Konzentration auf die Kernkompetenzen lässt. Die Kirche ist im sozialen Bereich nach wie vor ein Faktor, ohne den kaum eine Gesellschaft funktionieren würde. Das Wegbrechen sämtlicher kirchlicher Strukturen wäre kaum von staatlichen oder anderen privaten Initiativen aufzufangen. Zugleich eröffnen Priesterschwund und Berufungsmangel die Hoffnung, dass die Kirche weniger eine Kleriker- und mehr eine Laienkirche wird. Hoffnungen, die realistisch sein müssen – eine Aufgabe für Geweihte und Nicht-Geweihte gleichermaßen.
Die deutsche Kirche sieht sich nach dem Rücktritt Benedikts XVI. in der interessanten Lage, nicht mehr das »Land des Papstes« zu sein. Das kann helfen, einige Dinge ruhiger und weniger verkrampft zu analysieren. Gefühlt befindet sich die Kirche hierzulande in einer tiefen Krise. Vergleicht man indes beispielsweise die Zahlen mit der spanischen oder irischen Kirche oder sogar nur der deutschen protestantischen, dann relativiert sich dieses subjektive Gefühl. Das ändert zwar nichts daran, dass Kirchensterben, Mitgliederschwund und Reformbedürftigkeit groß und dringend sind. Es korrigiert aber die erstaunlich pessimistische Selbsteinschätzung vieler deutscher Katholiken, die mehr an eine kirchliche Apokalypse als an eine katholische Zukunft zu glauben scheinen.
Zurück in
Weitere Kostenlose Bücher