Franziskus, der neue Papst (German Edition)
ergibt sich die Aufgabe, trotz der Weite des Angebots die Tiefe der christlichen Botschaft nicht versanden zu lassen. Die calvinistisch geprägte »Do it yourself«-Mentalität der Amerikaner muss berücksichtigt werden, ohne wichtige katholische Prinzipien preiszugeben – die nordamerikanische Kirche steht vor einem großen religiösen Potential und zugleich noch größerer religiöser Konkurrenz. Sie muss sich selbst reinigen, die drastisch verschärften Regeln und Vorschriften gegen Missbrauch sind ein Anfang, um das Evangelium nicht übertönen, die Kirchenuhren weiterhin ein hörbarer Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft sein zu lassen.
Die Situation der Weltkirche unterscheidet sich bisweilen je nach Kontinent, Land oder Gesellschaft erheblich. Papst Franziskus ist in dieser Situation einerseits die Figur, die trotz aller Kritik am Petriamt die Identität garantiert und wörtlich als Brückenbauer verbinden und zusammenhalten muss. Das ist in Zeiten, in denen diese Unterschiede noch größer und die Umbrüche noch gewaltiger werden, umso essentieller. Rom kann nach wie vor Dinge lancieren, begleiten und manchmal sogar steuern. Die entscheidenden Entwicklungen werden trotzdem auf Ortsebene stattfinden. Das bedeutet nicht weniger Verantwortung für Franziskus. Aber einen Masterplan, der die Kirche in allen Gegenden wieder auf Kurs bringt, kann man nicht erwarten. Der Münsteraner Professor Detlef Pollack hat ganz Recht, wenn er sagt: »Papst Benedikt XVI. hat mit seinem Programm einer Entweltlichung der Kirche, wie er es den deutschen Katholiken ans Herz gelegt hat, auf eine Entflechtung von Kirche und politischen, rechtlichen und ökonomischen Strukturen abgezielt. […] In anderen Weltgegenden steht die katholische Kirche anders da. Für sie werden daher auch andere kirchenpolitische Programme erforderlich sein.« Trotzdem bleibt alternativlos das, was Franziskus vor seiner Wahl in einem seiner berühmtesten Zitate gesagt hat: »Wenn wir rausgehen auf die Straße, dann können Unfälle passieren. Aber wenn sich die Kirche nicht öffnet, nicht rausgeht und sich nur um sich selbst schert, wird sie alt. Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Kirche, die sich beim Rausgehen auf die Straße Verletzungen zuzieht, und einer Kirche, die erkrankt, weil sie sich nur mit sich selbst beschäftigt, dann habe ich keine Zweifel: Ich würde die erste Option wählen.«
WAS PASSIERT IST: DAS KONKLAVE UND DIE HISTORISCHE WAHL
S ogar eine Möwe wollte die historische Stunde nicht verpassen. Lange hockte der Vogel auf dem berühmtesten Schornstein der Welt, dem der Sixtinischen Kapelle. Als ob sie von ihrem Platz aus die Sensation beobachten könnte, die sich da unter ihr anbahnte. Als könnte sie sehen, wie sich die 115 Kardinäle in der Sixtina daranmachten, Kirchengeschichte zu schreiben. Denn nachdem die Möwe ihren Platz verlassen und weißer Rauch aufgestiegen war, stand fest, dass dieser 13. März 2013 ein dreifach historischer Moment ist: Kardinal Jorge Mario Bergoglio ist der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri, der erste Jesuit als »Stellvertreter Christi« und der erste Papst, dessen Name auf einen der beliebtesten Heiligen der Kirche zurückgeht: Aus Kardinal Jorge Mario Bergoglio wurde Papst Franziskus.
Es ist Mittwochabend um 19:06, als der Petersplatz zu Rätseln beginnt. Ist der Rauch grau und wird gleich schwarz wie am Vormittag, als die Kardinäle weder im zweiten noch im dritten Wahlgang einen neuen Papst finden konnten? Der Wind trägt die Fetzen weg, von unten steigen neue Wolken empor und wenige Sekunden später ist klar: Der Rauch ist weiß! Der Rauch ist wirklich weiß! Die katholische Kirche hat einen neuen Papst, Habemus papam! Nun beginnt das Rätselraten erneut: Wem haben die 115 Purpurträger ihr Vertrauen geschenkt? Die Wahl war schnell, mit nur fünf Runden eine der schnellsten der Neuzeit. Heißt das, es hat sich einer der Favoriten durchgesetzt? Oder genau das Gegenteil?
Einige Tage vorher, das »Papabile-Spiel« ist auf seinem Höhepunkt. So nennen Vatikanjournalisten die Spekulationen um den Nachfolger eines verstorbenen oder in diesem Fall zurückgetretenen Papstes. Sie alle wissen um die alte Weisheit, dass der, der als Papst ins Konklave geht, als Kardinal herauskommt. Einfacher gesagt: Favoritenstürze gehören zur Tradition der Papstwahl. Insofern vermuten manche bald eine Strategie hinter den vielen Berichten, die über Peter Turkson lanciert werden. Turkson wäre der
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