Franziskus, der neue Papst (German Edition)
aggressiv agiert. Einflussreich bleiben darüber hinaus die traditionellen Naturreligionen, Statistiken beziffern den Anteil von animistischen Gläubigen an der Gesamtbevölkerung auf bis zu 20 Prozent.
Nicht weniger problematisch ist das Nebeneinander von Aberglaube und Christentum. Glaube und Vernunft, die Hauptmaxime Benedikts XVI., mag in Europa die Feuilletons beschäftigt haben. In Busch oder Savanne haben diese Reflexionen kaum Einfluss. Für viele afrikanische Christen ist das Gebet zum christlichen Gott am Morgen und das Beschwören von animistischen Naturgöttern am Abend durchaus kein Widerspruch und findet statt. In Burkina Faso existiert ein Spruch, dass 50 Prozent der Bevölkerung Muslime seien, 50 Prozent Christen und 100 Prozent Animisten. Die offizielle katholische Kirche versucht, diesen Synkretismus zu verhindern, steht aber oft auf verlorenem Posten. Das liegt zum einen an den geschlossenen Gesellschaften, die man besonders im ländlichen Bereich vorfindet. Aber auch an praktischen Faktoren, sehr schlichten zum Teil: So fehlen oft Bibeln in den jeweiligen Sprachen oder Dialekten – bei mehr als 2000 Sprachen freilich eine gewaltige Herausforderung –, der richtige und adäquate Umgang mit einer Inkulturation des Evangeliums bleibt eine essentielle Aufgabe für die katholische Kirche Afrikas. Bei der Afrika-Synode 1994 wurden dafür zwar Kriterien ausgearbeitet, die eine grobe Richtung vorgeben sollen. Es sei entscheidend »Vereinbarkeit mit der Botschaft des Evangeliums« und die »Übereinstimmung mit der kirchlichen Gemeinschaft«, wie Philippe Ouédrago, Bischof aus Burkina Faso, es formuliert: »Dies bedeutet nicht, dass wir uns auf liturgischer Ebene der einheimischen Kultur nicht angepasst haben, denn wir haben zum Beispiel Gesänge und Tänze unserer Menschen in die Gestaltung des Gottesdienstes integriert.« Doch es gibt noch viel, sehr viel zu tun.
Die Frage der Inkulturation und der Vereinbarung von Theorie und Praxis, Lehre und Leben stellt sich nicht nur in der ausgiebig zitierten und nach wie vor drängenden HIV-Problematik: Die afrikanischen Bischöfe standen und stehen vor der Frage, wie sie beispielsweise mit Gläubigen umgehen sollen, die die Polygamie praktizieren und sich erst später für das Christentum entschieden haben. Roms Linie ist klar, jene Christen sind nicht zu den Sakramenten zugelassen. Dadurch entstehen im konkreten Fall enorme Schwierigkeiten. Ist das Verstoßen einer oder mehrerer Frauen um der Sakramente willen eine ethisch richtige Entscheidung? Kann die Kirche wollen, dass damit die Existenz dieser Frauen gefährdet wird? Das Kirchenrecht sagt: »Man kann sich vorstellen, welchen inneren Konflikt es für jemanden, der sich zum Evangelium bekehren will, bedeutet, deshalb eine oder mehrere Frauen entlassen zu müssen, mit denen er jahrelang ehelich zusammengelebt hat. Doch lässt sich die Polygamie mit dem sittlichen Gesetz nicht vereinbaren, denn sie ›widerspricht radikal‹ der ehelichen Gemeinschaft. ›Sie leugnet in direkter Weise den Plan Gottes, wie er am Anfang offenbart wurde; denn sie widerspricht der gleichen personalen Würde von Mann und Frau, die sich in der Ehe mit einer Liebe schenken, die total und ebendeshalb einzig und ausschließlich ist.‹« Auf der Afrika-Synode 2009 indes forderten mehrere afrikanische Bischöfe eine weniger starre Haltung, besonders in Bezug auf Frauen, die unverschuldet in die Polygamie geraten sind und dennoch von den Sakramenten ausgeschlossen bleiben.
Ein anderer wichtiger Gesichtspunkt ist die Ausbildung der Priester, afrikanische Priesterseminare sind oft nicht zu vergleichen mit europäischen oder nordamerikanischen Seminaren, das theologische Niveau liegt manchmal deutlich unter dem westlichen Standard. Erschwerend kommt dazu, dass die Karriere als Priester als genau das begriffen wird: als Karriere. Der Dienst in der Kirche stellt nicht selten die einzige Aufstiegsmöglichkeit dar, so wie das in Europa im Mittelalter und auch noch in der beginnenden Neuzeit der Fall war. Diese Tatsache prägt manche Kandidaten, Standesdünkel und übertriebenes Hierarchiedenken sind keine Seltenheit. Die Verantwortlichen stehen deshalb in der Pflicht, sich von den beeindruckenden Eintrittszahlen nicht berauschen zu lassen und Berufungen sorgfältig zu prüfen.
Die Kirche hat in Afrika richtungsweisende Jahre vor sich. Sie muss politisch sein, ohne eine fatale und verbrecherische Nähe zu den Machthabern zu pflegen, wie
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