Franziskus, der neue Papst (German Edition)
geringste Verdacht von Vertuschung oder gar Übergriffen bestand. Papst Franziskus ist so ein Kandidat – er wird nun daran gemessen werden, wie er in seinem neuen Amt mit der Schuld der Kirche umgeht.
In der Tat gibt es viele Herausforderungen für den neuen Papst. Doch kaum eine wird ihm emotional so viel abverlangen, wie die Wunden zu heilen, die die Missbrauchsvorfälle aufgerissen haben. Dort muss er wirklich »Heiliger Vater« sein. Das Verbinden alter Wunden und das Verhindern neuer wird ihm alles abverlangen. Dabei geht es um viel. Die Glaubwürdigkeit der Kirche hat enorm gelitten. Ohne Glaubwürdigkeit kann die Kirche aber keine moralische Vorbildrolle einnehmen. Ohne moralische Vorbildrolle kann sie ihre Werte nicht mehr glaubhaft vertreten, geschweige denn verkünden. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, hat das einst auf den Punkt gebracht: »Bei manchen Kommentaren der vergangenen Monate über die katholische Kirche fühlte ich mich erinnert an die mittelalterlichen Darstellungen der ›Frau Welt‹, jene allegorischen Figuren aus Stein, deren Vorderseite eine verführerisch-anmutige Frau zeigt. Umschreitet man sie und schaut auf ihren Rücken, dann ist dieser übersät von Kröten und Schlangen, Ungeziefer, Eiter und Moder: drastische Symbole der Verdorbenheit. Es scheint, als ob die Missbrauchsthematik den Blick freigäbe hinter die saubere Fassade der ›Frau Kirche‹ und ungehindert ihre modrig-abstoßende Kehrseite zeige. Damit ist in den Augen ihrer Gegner die Kirche endlich nun vollends ihrer verlogenen Scheinheiligkeit überführt. Nichts trifft aber die Glaubwürdigkeit der Kirche härter als der Vorwurf der Verlogenheit und Scheinheiligkeit. Denn ohne Vertrauensvorschuss kann die Kirche ihren Auftrag nicht erfüllen.«
Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und sich einen Vertrauensvorschuss wieder zu erarbeiten, das ist eine der wichtigen Aufgaben für Franziskus. Es ist indes nicht die wichtigste. Die wichtigere und grundlegendere ist die, den damaligen Opfern zu helfen und neue zu verhindern. Das wird – das muss hier in aller Deutlichkeit gesagt werden – nie gelingen, leider. Dennoch muss alles dafür getan werden, solche schrecklichen Verbrechen zu verhindern. Bei den angesprochenen Berichterstattungen im Vorfeld des Konklaves wurden einige Vorwürfe durcheinandergeworfen. So sind sexuelle Beziehungen eines Priesters gegen die Lehre der Kirche, aber von einer ganz anderen Kategorie als der Missbrauch von beispielsweise Jugendlichen. Einvernehmliche sexuelle Beziehung zwischen einem Priester und einer Frau oder einem Priester und einem Mann können in erster Linie kirchenintern behandelt werden. Sexuelle Übergriffe an Untergebenen, Schutzbefohlenen oder Minderjährigen können das nicht. Sie sind Straftaten und müssen weitergeleitet werden an die entsprechenden staatlichen Autoritäten. Das alles ist klar. Klar als Sachverhalt und klar als kirchliche Richtlinie – offiziell zumindest. Papst Franziskus steht vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Offizielle auch das Übliche ist. Mehr Prävention und mehr Information, das sind Forderungen, denen die Kirche unter ihrem neuen Oberhaupt nachkommen muss.
Der Umgang mit Personen, auf die übergegriffen wurde, und Priestern, die übergegriffen haben, wird eine der schwierigsten und wichtigsten Herausforderungen. Eine Sisyphusarbeit, neue und wieder neue Berichte werden wie eine Lawine über die Kirche rollen. Franziskus muss vermitteln, dass diese Lawine willkommen ist. Nur durch sie wird nach oben gebracht, was verschüttet war. Das wird wehtun und das Image der Kirche weiter beschädigen – eine Alternative dazu gibt es nicht. Die Aufklärungsarbeit wird alte Wunden neu aufreißen. Um manche dieser Wunden zu heilen, müssen sie noch einmal geöffnet werden. Um zukünftige Schmerzen zu verhindern, müssen vergangene Schmerzen thematisiert werden, das ist das schmerzhafte Paradox: Dass Gerechtigkeit erneut wehtut – es ist dies das besondere Gift dieser Verbrechen.
Diese Qualen kann man nicht alle lindern und muss es dennoch versuchen. Mit finanziellen Maßnahmen, die zwar nicht entschädigen, aber zumindest das Leid der Opfer und die Schuld der Täter anerkennen. Mit medizinischen Maßnahmen wie psychologische Betreuung, die Langzeitschäden zumindest versucht zu mindern. Die Kirche hat bis heute keine einheitliche Linie dazu. Und mit strukturellen Maßnahmen, die
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