Franziskus, der neue Papst (German Edition)
bereits als Fortschritte wahrgenommen werden. Zwei Beispiele veranschaulichen dies, selbst wenn nicht jeder Katholik die Überzeugungen der Protagonisten teilen wird:
Im März 2012 erregt das italienische Magazin »L’Espresso« Aufsehen mit einem Vorabdruck. Er trägt die Überschrift »Kardinal Martini: Ich und die Homosexuellen«. Die reißerische Zeile trügt, der Inhalt ist für viele liberale Katholiken in Italien eine Offenbarung aus Menschenmund. Der Vorabdruck stammt aus dem Buch »Credere e conoscere«, das auf einem Dialog zwischen Kardinal Carlo Maria Martini und Ignazio Marino basiert. Gesprochen wird damals, übrigens nur wenige Monate vor Martinis Tod im August 2012, im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt, auch über die Homosexualität. Martini, der ehemalige Erzbischof von Mailand, der größten Diözese der Welt, unterstrich damals seine Haltung, die kirchlich nicht unumstritten ist, aber durchaus keine Einzelmeinung darstellt: »Ich teile nicht die Positionen von Leuten in der Kirche, die sich über zivile Lebensgemeinschaften aufregen«, so Martini und er stellte die rhetorische Gegenfrage: »Ich halte daran fest, dass die Familie verteidigt wird, weil sie wirklich jene Institution ist, die die Gesellschaft in einer stabilen und dauerhaften Art stützt und eine fundamentale Rolle in der Erziehung unserer Kinder einnimmt. Wenn aber Menschen verschiedenen oder gleichen Geschlechts einen Vertrag unterzeichnen möchten, um ihrer Beziehung eine gewisse Stabilität zu geben, warum sollten wir unbedingt dagegen sein?«
Das zweite Beispiel ereignet sich am 15. Dezember 2012, als eine 25-jährige Frau in der Notaufnahme eines Kölner Krankenhauses steht. Der behandelnden Notärztin erzählt sie, sie sei am Vorabend feiern gewesen, habe sich am Nachmittag auf einer Parkbank im Stadtteil Köln-Kalk wiedergefunden, ohne jede Erinnerung an den Abend oder die Nacht. In der Notaufnahme wird die Frau untersucht und es wird festgestellt, sie sei vergewaltigt worden. Die Notärztin verschreibt die »Pille danach«, das Opfer wendet sich an das St.-Vinzenz-Hospital in Köln-Nippes und das Heilig-Geist-Krankenhaus, beide indes lehnen die Untersuchung und Behandlung ab. Der Fall wird publik und bestürzt die Öffentlichkeit, die Träger der Krankenhäuser sprechen von einem Missverständnis, das Entsetzen bleibt.
Zwei Monate später, auf der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Einzelne Bistümer haben die › Pille danach ‹ bereits in solchen Fällen wie dem Kölner erlaubt, jetzt ist die Bischofskonferenz an der Reihe. Einstimmig, so sagt der Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, sei die Entscheidung gefallen, folgende Aussagen zu veröffentlichen: »Die Vollversammlung hat bekräftigt, dass in katholischen Krankenhäusern Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, selbstverständlich menschliche, medizinische, psychologische und seelsorgliche Hilfe erhalten. Dazu kann die Verabreichung einer »Pille danach« gehören, insofern sie eine verhütende und nicht eine abortive Wirkung hat. Medizinisch-pharmazeutische Methoden, die den Tod eines Embryos bewirken, dürfen weiterhin nicht angewendet werden.« In den Medien wurde dies als Sensation gefeiert, was es bezüglich der deutlichen Formulierung ist, nicht aber bezüglich des Inhalts. Bischof Ignacio Carrasco de Paula, Präsident der »Päpstlichen Akademie für das Leben«, bezeichnete dies als Linie des Vatikans seit mehr als fünfzig Jahren, gab seinen deutschen Amtsbrüdern Rückendeckung und wurde dafür erneut in deutschen Medien gefeiert. Dabei hatte de Paula noch einmal bekräftigt, dass es keine generellen Richtlinien für Fälle wie in Köln geben könne, also weder ein pauschales »Pro« noch ein apodiktisches »Contra«: »Die Kirche muss das Gewissen der Menschen schärfen. Das Lehramt der Kirche sagt in solchen Fällen: Im Fall einer Vergewaltigung muss jede mögliche Option in Betracht gezogen werden, um die Schwangerschaft zu verhindern, nicht aber sie abzubrechen. Ob eine verabreichte Medizin als schwangerschaftsverhindernd oder abtreibungseinleitend eingestuft wird, ist Sache der Ärzte und Wissenschaftler, nicht der Kirche. Die Entscheidung muss von einem Arzt getroffen werden, auf Basis seines Wissens und seiner Erfahrung. Zu oft wird die Pille einfach ausgehändigt, ohne jegliches Interesse zu zeigen an der Person als Individuum.«
Beide Beispiele werden kontrovers diskutiert. Sie zeigen,
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