Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Papstwahl verfassten Paul VI . und Johannes Paul II . mit den Grundsatzschriften Romano Pontifici eligendo und Universi Dominici Gregis . Beide pochen ausdrücklich auf das Recht der Kardinäle, den Papst zu wählen. Noch mehr: Sie erlegen den Kardinälen die Pflicht auf, sich rechtzeitig nach Rom zu begeben, um an der Papstwahl teilnehmen zu können. Wenige Tage vor seinem Rücktritt, am 22. Februar 2013, erließ Benedikt XVI . eine Anordnung an die Kurie, ein Motu Proprio , in dem er im Paragraf 35 bekräftigt: »Kein wahlberechtigter Kardinal darf von der aktiven oder passiven Wahl zum Papst ausgeschlossen werden, aus keinem Grund und unter keinem Vorwand.« Bisher hatte es in der Geschichte nur drei Gründe gegeben, die einen Kardinal von der Teilnahme an der Wahl zum Papst abgehalten hatten: 1) Gewalt, 2) Gesundheitsprobleme und 3) Entfernung.
Grund Nummer eins, die Anwendung von Gewalt, um einen Kardinal an der Anreise zu hindern, war bei der Papstwahl immer wieder ein Faktor. Das lange Konklave, das zwischen Dezember 1799 und März 1800 stattfand, musste in Venedig abgehalten werden, unter dem Schutz der Österreicher, weil Napoleon Rom besetzt hatte – zehn Kardinäle konnten nicht anreisen. Zahlreiche Kardinäle wurden in der Geschichte auch Opfer von Giftanschlägen. Einer der berühmtesten war Giovanni Kardinal Michiel, ein Venezianer, der möglicherweise auf Betreiben des Sohnes von Papst Alexander VI ., Cesare Borgia, 1503 vergiftet wurde. Papst Julius II . ließ für alle Fälle den Koch des Kardinals hinrichten.
Der zweite Grund, gesundheitliche Probleme, spielt bis heute eine entscheidende Rolle bei der Papstwahl, da die Kardinäle in der Regel nicht mehr die Jüngsten sind. Auch die Wahl von Papst Franziskus wurde dadurch beeinträchtigt. Bereits am 20. Februar 2013 hatte der 78-jährige indonesische Kardinal Julius Riyadi Darmaatmadja erklärt, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Konklave kommen werde. Der dritte Grund – große Entfernung –, der über Jahrhunderte ein ernstes Problem darstellte, entfällt heute weitgehend dank der Verfügbarkeit moderner Verkehrsmittel. Aber noch das erste Konklave des 20. Jahrhunderts, das am 4. August 1903 Papst Pius X. wählen sollte, kämpfte mit diesem Problem. Patrick Francis Kardinal Moran, Erzbischof von Sydney, kam damals nicht rechtzeitig an, die Entfernung mit dem Schiff war einfach zu weit. Und selbst das Konklave 1939, aus dem am 2. März Pius XII . als neuer Papst hervorgehen sollte, musste den aus den USA anreisenden Kardinälen die längstmögliche Freist von 18 Tagen gewähren, weil sie ansonsten nicht rechtzeitig mit Eisenbahn und Schiff eingetroffen wären.
Jetzt kam erstmals ein vierter Grund für die Nichtteilnahme an einer Papstwahl hinzu. Dieses neue Zeitalter läutete eine Vier-Zeilen-Mitteilung des Pressesaals des Heiligen Stuhls am 25. Februar 2013 ein. Der Vatikan teilte darin lediglich mit, dass Seine Eminenz Keith Michael Patrick Kardinal O’Brien gemäß Paragraf 1 der Bestimmung 401 des Kirchenrechtes von der Leitung der Erzdiözese Saint Andrews and Edinburgh in Schottland zurücktreten werde. Für den am 17. März 1938 geborenen O’Brien stand der 75. Geburtstag, das Höchstalter für einen Bischof, unmittelbar bevor. Wenn Bischöfe in diesem Alter gebrechlich sind, nimmt der Papst deren Rücktritt gewöhnlich an. Aber das war O’Brien nicht, ihm ging es prächtig. In seinem Fall wäre es deshalb normal gewesen, wenn der Papst als Zeichen der Dankbarkeit den Rücktritt abgelehnt hätte und ihm ein weiteres, letztes Jahr im Amt gewährt hätte.
Das tat Benedikt XVI . aber nicht. Denn in Großbritannien war der Brief von vier Männern aufgetaucht, drei Priestern und einem ehemaligen Priester, die dem Kardinal vorwarfen, sie sexuell genötigt zu haben. Der schottische Kardinal, der wichtigste Priester der katholischen Kirche in Großbritannien, soll in den 80er-Jahren im Saint Andrew’s und später im Saint Mary’s College sich eindeutig »ungebührlich« verhalten haben. Die Priester beklagten, dass O’Brien ihre Abhängigkeit ausgenutzt habe. Die britische Tageszeitung The Guardian hatte die Bombe platzen lassen. Die drei Priester sollen ihre Beschuldigungen des Erzbischofs von Edinburgh direkt an den päpstlichen Nuntius in England, Monsignore Antonio Mennini, geschickt haben. Der vierte Priester soll 2003 aus Enttäuschung darüber, dass Papst Johannes Paul II . trotz der Verdachtsmomente O’Brien zum
Weitere Kostenlose Bücher