Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
Kardinal ernannt hatte, die Kirche verlassen haben.
Der Bericht über dieses »unangemessene Verhalten« traf Anfang Februar 2013, eine Woche bevor der Papst seinen Rücktritt ankündigte, in Rom ein. Papstsprecher Federico Lombardi erklärte, dass der Papst über den Vorfall informiert worden sei. Im Vatikan gab es nur wenige Zweifel daran, dass diese Vorwürfe wahr sein könnten. O’Brien schien in die gefährlichste, die klassische Falle für viele Priester getappt zu sein. Bittere Erfahrungen mit den sexuellen Versuchungen in Seminaren hatte die katholische Kirche ausgerechnet in einem der weltweit angesehensten Seminare gemacht, in Sankt Pölten in Österreich. Von dort hatten Priesteramtsanwärter detailliert beschrieben, wie sie von den Seminarleitern, den Regenten, als »Frischfleisch« behandelt und für wilde Sexpartys missbraucht wurden, bei denen die Seminarleiter die Seminaristen nicht nur leidenschaftlich küssten, sondern ihnen auch an die Genitalien fassten. Ortsbischof Kurt Krenn hat das Ganze damals im Jahr 2003 zunächst als »Bubenstreich« abgetan. Als aber auch harte Kinderpornos auf den Computern der Seminaristen entdeckt wurden und die Staatsanwaltschaft eingriff, war Schluss. Im Jahr 2004 trat Kurt Krenn auf Wunsch von Papst Johannes Paul II . zurück.
Dass auch O’Brien in der Zeit als Seminarleiter sich an den jungen Männern vergangen haben könnte, hielt man im Vatikan für wahrscheinlich und die Beschuldigungen für echt. Einige Stunden lang hatte man im Vatikan noch darauf gesetzt, dass es ein Dementi geben könnte. Bisher lagen schließlich nur Zeitungsberichte vor, die den Kardinal belasteten. Es konnte ja sein, dass er zu Unrecht verdächtigt wurde und eine gemeine Intrige gegen einen völlig unbescholtenen Mann inszeniert wurde.
Doch dann sorgte O’Brien für eine Sensation. Er bat um den Segen aller Kardinalskollegen, die mit ihm zusammen den neuen Papst wählen sollten, erklärte jedoch, dass er an dem Konklave nicht teilnehmen werde, weil er den Rummel der Medien fürchtete. Es gab jetzt also einen weiteren Grund, der einen Kardinal von der Wahl eines Papstes abhalten konnte: Scham und Schuld.
Exkurs: Kirche und Sex
Für die meisten Strafgesetzbücher der Welt ist es völlig gleichgültig, ob ein Priester mit einer Frau oder einem Mann ins Bett geht, sofern die Dame oder der Herr nichts dagegen hat. Aus Sicht der Kirche ist das aber anders: Ob ein katholischer Priester mit einem Mann Sex hat oder mit einer Frau, ist ein immenser Unterschied. Nur in einem sind sich die Staaten und die Kirche einig: Wer sich an Kindern und Jugendlichen vergeht, hat nicht nur auf dieser Welt, sondern auch vor Gott richtig schlechte Karten. Von Anfang an hatte die katholische Kirche eigentlich kein Problem mit dem Sex, solange Frauen und Männer zusammen ins Bett gehen. Das berühmteste Beispiel ist Petrus: Der Mann, auf den sich alle Päpste als dessen Nachfolger beziehen, war nämlich selbstverständlich verheiratet. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel, denn Jesus heilte seine Schwiegermutter. Im Matthäusevangelium 8, 14 heißt es: »Jesus ging in das Haus des Petrus und sah, dass dessen Schwiegermutter im Bett lag und Fieber hatte. Da berührte er ihre Hand, und das Fieber wich von ihr.«
Die ersten Päpste waren sicher auch verheiratet. Das Gelübde der Ehelosigkeit von Priestern wird erst nach etwa 1000 Jahren Christentum verbindlich. Im Jahr 1022 ordnete Papst Benedikt VIII . zusammen mit dem Kaiser an, dass Geistliche nicht mehr heiraten dürften. Im Wesentlichen geht es um Materielles: Geld, Sachwerte, Immobilien. Auf dem Sterbebett entscheidet sich immer wieder mancher Gläubige, dass es nicht schaden kann, Gott mit einem konkreten Geschenk an seine Kirche milde zu stimmen, bevor man ins Jenseits gelangt. Also überlässt er Haus und Hof oder auch nur ein Schwein oder einen Acker dem Pfarrer, damit der eifrig für ihn bete. Der Kirchenmann wiederum verteilt seinen Besitz auf seine zahlreiche Kinderschar. Das passt natürlich Mutter Kirche nicht, und die kommt auf eine simple und radikale Idee: Wenn man den Pfarrern den Sex verbietet, dann können sie keine Kinder mehr zeugen, die den Besitz der Kirche verprassen. Sofern das klappt, bleibt der Kirche dann eine Menge Geld und Sachwerte. Das Keuschheitsgelübde zahlt sich also aus – so einfach war das.
Theologisch ließ sich die Ehelosigkeit von Priestern nicht wirklich begründen, und alle Päpste wussten das. Zu eindeutig
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