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Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)

Titel: Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Englisch
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hatten das die deutschen Kardinäle wirklich?
    Viele Kardinäle aus der ganzen Welt hatten Joseph Ratzinger zum Papst gewählt, weil er der engste Vertraute des Heldenpapsts Johannes Paul II. gewesen war. Man hatte selbstverständlich vorausgesetzt, dass die deutschen Kardinäle ganz besonders eifrig Ratzingers Kandidatur unterstützen würden. Aber das war völlig falsch. In der Gruppe der deutschen Kardinäle, die am Konklave bei der Wahl Benedikts XVI . teilnahmen, waren zwei ausgewiesene Gegner Ratzingers, auch wenn sie das nicht offen zugegeben hätten: Walter Kasper und Karl Lehmann. Die Wunden, die der Streit zwischen Kasper und Ratzinger 1993 geschlagen hatte, waren nie wirklich verheilt. Damals hatte Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation Kasper zusammengefaltet, weil der gemeinsam mit Lehmann eine Erklärung zur Situation von Geschiedenen, die wieder heirateten, abgegeben hatte. Beide stellten die Regel der Kirche, diese Menschen zu den Sakramenten, also auch zur Kommunion, nicht mehr zuzulassen, infrage. Ratzinger pfiff sie zurück und zwang sie, ihre von der Kanzel verkündeten Worte zurückzunehmen.
    Der Konflikt des Joseph Ratzinger mit Karl Lehmann ging noch weiter. Im Streit um eine Lösung in der Frage der Schwangerschaftskonfliktberatung kam es zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen Lehmann und dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation. Dabei ging es darum, ob die Kirche aus dem staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung aussteigen sollte oder nicht. Jahrelang hatte die Kirche eine Schwangerschaftskonfliktberatung angeboten. Frauen konnten sich nach der Beratung für Hilfsangebote und für das Kind oder aber für einen legalen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, zu dem sie der von der katholischen Kirche ausgestellte Beratungsschein berechtigte. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe wollte im Beratungssystem bleiben, für das der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, kämpfte. Ratzinger war dagegen, nach seiner Interpretation wurde die Kirche durch das Ausstellen des Scheins mitschuldig an der Tötung ungeborenen Lebens. 1998 setzte er sich mit seiner Position durch. Lehmann war tief enttäuscht und verletzt.
    Die Wahl Ratzingers zum Papst versetzte Kasper und Lehmann einen Schock. Sie würden zwar beide weiterhin als vorbildliche Soldaten des Papstes Benedikt XVI . dienen – Kasper sogar in unmittelbarer Nähe als Chef des Einheitsrates –, aber eine herzliche Freundschaft wurde es nicht mehr. Der deutsche Papst vertrat dann auch während seines Pontifikats nur sehr wenige Anliegen der deutschen Kirche. Benedikt XVI . kam aus dem Mutterland der Reformation und kannte sich in dem komplizierten Geflecht der Beziehungen der katholischen Kirche zu den lutherischen und evangelischen Kirchen besser aus, als dies je ein Papst aus Italien vermocht hätte. Doch ausgerechnet in diesem Kernanliegen der deutschen Kardinäle, der Ökumene, setzte Ratzinger kaum Akzente.
    Was die zweite Herzensangelegenheit der deutschen Kardinäle anging, die besondere Beziehung zu den Juden, hatte Benedikt XVI . versagt. So bitter das auch war, es ließ sich kaum wegdiskutieren. Das Desaster der Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Bischof Richard Williamson hatte dazu geführt, dass das Parlament in Jerusalem erwog, die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl abzubrechen, auf dem jetzt ein Deutscher saß. Statt ein historisches Zeichen zu setzen und die tiefe Schuld der deutschen Katholiken gegenüber dem Volk der Juden angesichts der während des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen zum Thema zu machen, handelte sich Benedikt XVI . eine deftige Rüge Israels ein.
    Auch eine andere Rede hatte vor allem angestellte Mitarbeiter der Kirche in Deutschland gegen den Papst aufgebracht. Dies geschah bei seinem Besuch in Freiburg im September 2011. Der Papst forderte eine »Entweltlichung« der Kirche. Sie dürfe sich nicht an staatliche Privilegien gewöhnen. Wie konnte der Papst nur die deutsche Kirchensteuer einstreichen und ein Heer von Mitarbeitern in den Kirchen akzeptieren, die vom Staat bezahlt wurden – und dann gleichzeitig eine Entweltlichung fordern? Viele staatlich alimentierte Mitarbeiter der Kirche waren vom Papstwort geschockt. Sie fragten sich, wer sie dann bezahlen sollte und wie sie ihre Familien ernähren sollten, denn die katholische Kirche konnte sich ihren großen Verwaltungsapparat ohne die Mitfinanzierung durch den deutschen Staat kaum

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