Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
ihm, einen argentinischen Weg zu etablieren und die Konfrontationen des Kalten Krieges zwischen sowjetisch dominiertem Kommunismus und US -amerikanisch geprägtem Kapitalismus zu vermeiden.
Der Knabe Jorge Mario Bergoglio ist zehn Jahre alt, als Perón seine erste Amtszeit antritt. Hunderte Krankenhäuser entstehen, die Bevölkerung erhält Zugang zu medizinischer Versorgung, ein Großteil der Argentinier bekommt eine Krankenversicherung. Die Löhne steigen drastisch an, um 22 Prozent während der ersten Amtszeit Peróns, auch die Arbeitsbedingungen verbessern sich. Perón wirft die Engländer aus Argentinien, holt sich die ebenfalls von Engländern beherrschte Staatsbank zurück und lässt die Eisenbahn verstaatlichen. Jorge Mario Bergoglios Vater, der Eisenbahner Mario Bergoglio, wird sicher mit Begeisterung von Perón gesprochen haben. Dass sich der junge Bergoglio mehr für deutsche Literatur, für Italien und Spanien, aber weniger für Großbritannien und die USA interessiert, hat natürlich damit zu tun, dass das Argentinien seiner Jugend eine eindeutige Abneigung gegenüber allem Englischen hat.
Dass Perón ein Major der Armee war, ist für Bergoglio kein Makel. Die Armee hat in Argentinien eine völlig andere Rolle als in Europa. Wenn der junge Jorge Mario Bergoglio an einen Oberbefehlshaber denkt, hat er eine Figur wie George Washington vor Augen. So wie es den USA gelang, mithilfe des Militärs die Unabhängigkeit von Großbritannien zu erreichen, war dies 1816 auch Argentinien gegenüber Spanien gelungen. Seine Beziehung zum Militär sollte jahrzehntelang für Bergoglio prägend sein. Dass der Priester Bergoglio und später der Kardinal Bergoglio ein ganz anderes Verhältnis zum Militär haben als viele seiner europäischen Kollegen, wird man in der Alten Welt wohl nie verstehen. Deshalb lehnte Bergoglio auch den Militärputsch gegen Perón 1955 nicht ab. Später wird man ihm eine zu große Nähe zur 1976 bis 1983 diktatorisch regierenden Militärjunta vorwerfen und verkennen, wie es dazu kam.
Die erste große Enttäuschung im Leben des Jorge Mario Bergoglio ist die Wandlung des verehrten Juan Domingo Perón. Der Präsident, der sich so wirkungsvoll für soziale Verbesserungen in Argentinien eingesetzt hat, wendet sich immer mehr gegen die Kirche. Bergoglio ist 19 Jahre alt und an der Universität in Buenos Aires eingeschrieben, um Chemie zu studieren, als es zum Staatsstreich gegen Perón kommt. Während dieser am 16. Juni 1955 vor Tausenden von Anhängern spricht, greifen Kampfjets an und werfen Bomben ab. 364 Menschen werden im Stadtzentrum von Buenos Aires auf der Plaza de Mayo getötet. Der Student Bergoglio, der in einer katholischen Familie aufgewachsen ist und Mitglied der Partei Peróns wurde, muss erleben, dass Peróns Anhänger elf Kirchen in Buenos Aires, darunter die Kathedrale, plündern und in Brand stecken. Schon einen Tag vorher hatte Papst Pius XII . Perón exkommuniziert. Erst 1963 wird er die Exkommunizierung aufheben.
Diese Jahre prägen Bergoglio. In Buenos Aires herrscht das Chaos. 1955 übernimmt das Militär die Kontrolle in Argentinien. Die Partei Peróns wird verboten, der abgesetzte Präsident flieht aus dem Land. Er wird Asyl finden beim spanischen Diktator Franco.
Berufung zum Dienst an Gott
Für Jorge Mario Bergoglio ist die Enttäuschung über Juan Domingo Perón ein Einschnitt. Als dieser auf Konfliktkurs mit der Kirche geht, wendet sich Bergoglio von ihm ab. Bergoglio sucht jetzt nach einem anderen Weg für das gleiche Ziel, das Perón erreichen wollte: soziale Gerechtigkeit. Bergoglio glaubt, dass dies der Weg Gottes sein kann. Wo in seinem Herzen die Hoffnung auf eine gerechtere Welt lodert, zieht jetzt Gott ein. War es nicht ein Mann aus Nazareth, der sagte, dass die selig sind, die nach Gerechtigkeit dürsten?
Die Entscheidung, Priester zu werden, wird 1957 auch durch einen persönlichen Schicksalsschlag beeinflusst: Jorge Mario Bergoglio erleidet eine schwere Lungenentzündung. Die Ärzte entschließen sich damals zu einem aus heutiger Sicht völlig überflüssigen Schritt und entfernen einen Teil der entzündeten rechten Lunge. Heute hätten ein paar Antibiotika das Problem gelöst. Ein Priester wird gerufen, der Eingriff ist lebensgefährlich. Er erklärt dem 21-Jährigen, dass es um Leben und Tod geht. Später wird Jorge Mario Bergoglio darüber sagen: »Ich hatte hohes Fieber und nahm meine Mutter in den Arm und fragte sie: ›Was passiert mit mir?‹ Sie
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