Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
hatte nichts Geschlechtsloses und schon gar nichts Weibisches an sich, auch wenn er die sogenannte Casula, das Gewand der katholischen Priester, trug. Nach seiner Wahl zum Papst hatte sich mir dieser Eindruck von damals noch einmal deutlich bestätigt. Er verzichtete auf allen Schnickschnack, der Joseph Ratzinger umgehängt worden war. Das rote, mit Hermelinfell besetzte Mäntelchen, die Mozzetta, das Ratzinger immer wieder über der weißen Soutane des Papstes getragen hatte, lehnte Bergoglio von Anfang an ab. Selbst die Stola, mit der sich Ratzinger fast immer geschmückt hatte, ließ sich Bergoglio nur dann umlegen, wenn es aus liturgischen Gründen wirklich nötig war, also in dem Augenblick, in dem er den Segen erteilte.
Dass dieser Mann, Jorge Mario Bergoglio, eine Freundin gehabt hatte in der Zeit, als er noch als Chemiker gearbeitet hatte, glaubte ich sofort. Auch dass er in seiner Jugend Tango getanzt hatte und noch heute gerne Tangomusik hört.
Noch etwas fiel mir an ihm auf, was ich als außerordentlich beruhigend und sehr positiv empfand: Er neigte nicht zu dieser im Vatikan so weit verbreiteten Priesterglorifizierung. Im Vatikan gilt unter fast allen Kardinälen als ausgemacht, dass Priester nun mal die besseren Menschen sind. Es herrscht dieses Denken vor, dass Mitglieder einer einfachen Familie, die ihrer Arbeit nachgehen, auch gute Christen sein mögen, dass aber Priester, die eine radikalere Entscheidung für Christus und Gott getroffen haben, einfach die besseren Christen waren. Ich glaube, dass dieses Bewusstsein sich nicht einmal Bosheit oder Ignoranz verdankt, es scheint einfach normal zu sein, dass Priester untereinander eine verschworene Gemeinschaft bilden und einen Unterschied machen zwischen »uns« Priestern hier drinnen im Vatikan und den »anderen« da draußen jenseits der Mauern des Vatikans. Typisch für diese Glorifizierung alles Priesterlichen war auch Joseph Ratzinger gewesen. Sein ganzes Leben lang, seit seiner Kindheit, hatte Ratzinger Priester werden wollen. Er verehrte alles Priesterliche, das feierliche Jubiläum einer Priesterweihe war für ihn eine sehr wichtige Sache.
Bergoglio machte damals in Aparecida einen völlig anderen Eindruck auf mich. Er strahlte nicht die Spur dieser Haltung aus, dass er als Priester etwas Besseres sei. Es hatte offensichtlich sein Leben geprägt, dass er zunächst einen ganz normalen Beruf ausgeübt hatte, als Chemietechniker. Er war kein Professor für Chemie gewesen, er hatte das Diplom in Chemie erworben. Kein großer Theoretiker, ein Arbeiter eben. Man spürte bei ihm diese Achtung vor den Menschen, vor allen Menschen, auch vor denen, die nicht die Entscheidung getroffen hatten, Priester zu werden.
Jorge Mario Bergoglio hatte immer wieder darüber gesprochen, wie sehr er einfache Arbeit achte. Er hatte seine Familie unterstützt, indem er schon als Jugendlicher in Fabriken geputzt hatte. In seinen Gesprächen über die Aufgaben der CELAM konnte man aber ohne jeden Zweifel heraushören, dass in ihm immer noch sehr viel vom Gerechtigkeitsdurst des jungen Sozialisten Jorge Mario Bergoglio steckte. Er hatte sich als junger Mann in die Partei des Juan Domingo Perón eingeschrieben, und noch immer waren für ihn die zentralen Anliegen des Peronismus, soziale Gerechtigkeit und Hilfe für die Armen, essenziell. Perón, der Argentinien in seinen Regierungszeiten 1946 bis 1955 und dann noch einmal nach 18 Jahren Exil von 1973 bis 1974 so sehr prägte, beeindruckte und beeinflusste Bergoglio zutiefst.
In dem Gespräch damals wurde mir klar, dass es für einen Europäer schwieriger als angenommen ist, einen Lateinamerikaner zu verstehen. Das betrifft vor allem das Militärische. Bergoglio sollte sich entscheiden, zu den Jesuiten zu gehen, dem einzigen Orden der katholischen Kirche, der von einem Soldaten für die Soldaten Christi gegründet worden war. Zu den Jesuiten zu gehen und sich wie ein Soldat zu fühlen bedeutet aber nicht gleichzeitig, sich für die Armen zu engagieren. In Europa waren Militär und soziales Engagement über Jahrhunderte ein Widerspruch gewesen. In Argentinien war die Geschichte aber anders verlaufen. Perón war ein Major der argentinischen Armee gewesen, er hatte sich am Militärputsch des Jahres 1943 gegen die Regierung von Ramón Castillo beteiligt. Dennoch stieg Perón zum Chef der Arbeiterpartei auf und begann nach seiner Wahl zum Präsidenten am 4. Juni 1946, Argentinien in ein neues Zeitalter zu führen. Es gelang
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