Franzosenliebchen
wie ein
Polizist handeln müssen. Er hätte zumindest versuchen
müssen, Schneiders Leben zu retten. Aber damals wie heute
hatte ihn ein Motiv geleitet, das übermächtiger war als
aller Verstand: Angst. Ein lähmendes, schreckliches, nicht zu
kontrollierendes Gefühl der Angst. Todesangst.
54
Mittwoch, 14.
März 1923
Schneiders Warnungen
zum Trotz hatte Goldstein am Abend kräftig eingeheizt. Selbst
wenn ihn die Franzosen, durch den Rauch des Feuers alarmiert,
wieder aufgreifen würden - was spielte das noch für eine
Rolle?
Es hatte Stunden
gedauert, bis er endlich eingeschlafen war. Die Erinnerung an
Schneiders flehenden Gesichtsausdruck, als ihn Saborskis Schergen
aus der Laube gezerrt hatten, ließ Goldstein immer wieder
hochschrecken. Trotzdem plagten ihn ausgerechnet in dieser Nacht
keine Albträume.
Als er erwachte,
fühlte er sich deshalb zwar ausgeschlafen, aber sein
schlechtes Gewissen war präsent, kaum dass er die Augen
aufgeschlagen hatte. Warum hatte er Schneider so im Stich
gelassen?
Er schlug die Decke
zurück und stand auf. Ihn fröstelte. Im Ofen befand sich
noch ein wenig Glut, die sich mit etwas Papier und Kleinholz wieder
entfachen ließ. Kurz darauf prasselte das Feuer und angenehme
Wärme durchzog den Raum.
Goldstein zögerte
lange, öffnete aber dann doch die Tür und trat nach
draußen. Die Luft war kalt und klar. Es dämmerte
bereits. Vögel zwitscherten. Langsam lief Goldstein die Wege
des Gartens ab und stellte fest, dass Schneiders Leichnam
fortgeschafft worden war. Nur ein unscheinbarer Blutfleck zwischen
den Rabatten deutete darauf hin, dass vermutlich genau an dieser
Stelle ein Mensch seine letzten Atemzüge getan
hatte.
Peter Goldstein fasste
einen Entschluss. Er würde nicht aufgeben, sondern versuchen,
den Mord an Agnes Treppmann aufzuklären. Irgendwie hatte er
das Gefühl, dass er es Schneider schuldig war, seinen Auftrag
zu Ende zu bringen.
Der Weg zurück in
die Teutoburgia-Siedlung war nicht schwer zu finden. So früh
am Morgen waren viele Menschen unterwegs zur Arbeit, die nicht nur
bereitwillig Auskunft gaben, sondern auch Schutz boten. Goldstein
schloss sich einer Gruppe von Männern an, die auf dem Bergwerk
Friedrich der Große arbeiteten, nicht weit entfernt von
seinem Ziel.
Die Überraschung
stand Erna Treppmann ins Gesicht geschrieben, als Peter Goldstein
an ihre Tür klopfte. Erst vor zwei Tagen hatte sich die
Familie zurück in ihr Haus gewagt in der Hoffnung, dass die
Franzosen die Suche nach dem Verrückten, der mit einem
Holzknüppel ihre Posten attackiert hatte, aufgegeben
hatten.
»Guten
Morgen«, begann Goldstein. »Mein Name
…«
»Ich weiß,
wer Sie sind. Kommen Sie, schnell.« Sie zog ihn in den Flur
und schloss hastig die Tür. Sie lächelte. »Vielen
Dank für das, was Sie getan haben.«
Goldstein wollte etwas
erwidern, aber sie schüttelte den Kopf und griff fast
zärtlich seinen Arm. »Lassen Sie. Sie sehen aus, als ob
Sie Hunger hätten. Mein Mann und ich frühstücken
gerade. Wenn Sie möchten …« Ohne eine Antwort
abzuwarten, schob sie ihn in die Küche.
Hermann Treppmann
begrüßte Goldstein verlegen. »Tut mir leid, das da
auf dem Bahnhof. Wir haben gehört, dass Sie fliehen konnten.
Ich bin darüber sehr erleichtert. Schließlich hat Sie
meine Unbesonnenheit in diese Gefahr gebracht. Ich hätte mir
ewig Vorwürfe gemacht, wenn Ihnen etwas zugestoßen
wäre.«
Erna Treppmann nahm
Besteck, einen Teller und eine Tasse aus dem Küchenschrank und
stellte sie vor Goldstein hin.
Sie zeigte auf den
Tisch, auf dem Brot, Schmalzaufstrich und etwas Wurst standen.
»Bitte bedienen Sie sich. Viel ist es zwar nicht, aber
…« Sie schob ihren Stuhl zurecht und setzte sich
ebenfalls.
Goldstein
verspürte in der Tat Hunger und griff zu, achtete aber darauf,
Maß zu halten. Das Angebot der Speisen machte nicht den
Eindruck, als ob die Treppmanns aus dem Vollen schöpfen
konnten.
Nach der zweiten Tasse
Tee kam Goldstein auf sein Anliegen zu sprechen: »Sie wissen,
dass ich Polizist bin?«
Das Ehepaar nickte
schweigend.
»Vermutlich ist
Ihnen dann auch bekannt, dass ich nach Herne geschickt wurde, um
den Mord an Ihrer Tochter
aufzuklären?«
Erneut war Erna
Treppmann die Wortführerin. »Ja. Lisbeth hat uns alles
erzählt.«
»Dann sagt Ihnen
der Name Julian also auch etwas.«
»Ja.« Ihr
Gesicht blieb ausdruckslos, während ihr Mann bei der
Erwähnung des Namens leise aufstöhnte.
»Das Thema,
über das ich mit Ihnen sprechen möchte,
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