Franzosenliebchen
erweckte
aber nicht den Eindruck, dass er glaubte, was er sagte. »Was
sollte ich machen? Es war ein Befehl. Ich habe nur einen Befehl
ausgeführt.«
»Sie haben
gemordet!«, empörte sich Goldstein. »Welchen Grund
Sie auch immer gehabt haben mögen - Sie haben ein
Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Das ist nicht
das einzige«, bemerkte Saborski leise. »Nicht das
einzige«, wiederholte er. Schwerfällig ließ er
sich Goldstein gegenüber auf einen der Stühle sinken,
griff in seine Jackentasche, holte eine Dose aus Silberblech hervor
und schob sie langsam zu Goldstein hin. »Offnen Sie«,
sagte er.
Der Polizist klappte
die Dose auf. Darin lag eine verbeulte Pistolenkugel, sorgsam in
ein Seidentuch gewickelt.
»Eine
französische Kugel«, klärte Saborski den
verstörten Goldstein auf. »Sie hat meinen Vater
getötet. Ich trage sie immer bei mir. Sie erinnert mich an
meinen Hass auf die Franzosen und an meine Rache. Mein Vater hat
gegen die Franzosen gekämpft, ich habe das getan, tue es noch
immer und, wenn meine Informationen stimmen, tun Sie es ebenfalls.
Wir sind Soldaten.«
Goldstein wollte ihn
unterbrechen, schwieg aber, als Saborski die Hand hob.
»Ich kann mir
denken, was Sie einwenden wollen. Aber dieser sogenannte
Friedensvertrag von Versailles ist dem deutschen Volk aufgezwungen
worden. Wir befinden uns nach wie vor im Kriegszustand. Der passive
Widerstand gegen die Besatzer ist ein politischer Fehler. Das
deutsche Volk ist bereit für einen erneuten Waffengang gegen
die Franzosen.« Saborski nahm seinen ursprünglichen
Gedankengang wieder auf. »Soldaten müssen Befehlen
gehorchen und sie ausführen, unabhängig davon, ob sie von
der Richtigkeit überzeugt sind. Waren Sie
Offizier?«
»Ja.
Leutnant.«
»Sehen Sie. Dann
haben Sie Befehle nicht nur entgegengenommen, sondern auch erteilt.
Haben Sie jemals gezweifelt, ob Ihre Untergebenen im Feld Ihren
Befehlen folgen würden?«
»Eigentlich
nicht«, gab Goldstein widerwillig zu. Er ahnte, worauf
Saborski hinauswollte.
»Eben. Befehl
und Gehorsam. Jede Armee dieser Welt ist nach diesem Grundsatz
aufgebaut. Sie verstehen sich vielleicht momentan nicht als Soldat,
aber ich. Und wenn mir befohlen wird zu töten, führe ich
den Befehl aus. Haben Sie im Krieg getötet? Ich meine, nicht
nur anonym oder über weite Entfernungen wie durch die
Artillerie, sondern im Nahkampf, Aug in Aug mit dem
Feind?«
Goldstein begann zu
schwitzen. Der Landsmann im Granattrichter. Das Gas. Ja, er hatte
getötet. Und nicht nur Franzosen. »Das habe ich
getan«, räumte er ein.
»Und
warum?«
»Ich verstehe
nicht …«
»Hatte Ihnen der
Franzose, den Sie getötet haben, irgendein persönliches
Leid zugefügt?«
»Nein.«
»Warum haben Sie
dann so gehandelt? Das ist doch eine einfache
Frage.«
»Das wissen Sie
doch«, brauste Goldstein auf. »Weil es mir befohlen
wurde.«
»Und da wagen
Sie es, mir Vorwürfe wegen Schneider zu machen?«,
erwiderte Saborski scharf.
»Aber Sie
können doch das Sterben im Krieg nicht mit diesem Mord
vergleichen«, widersprach Goldstein, obwohl er wusste, dass
er die Auseinandersetzung längst verloren hatte. Er setzte
noch hinzu: »Außerdem war Schneider Deutscher.«
Als Goldstein den Satz ausgesprochen hatte, wurde ihm schlagartig
klar, dass er selbst seit jener Nacht zwischen den Linien jedes
moralische Recht verloren hatte, über andere den Stab zu
brechen. Er hatte ja auch einen Deutschen getötet, um sein
eigenes Leben zu retten. Wer war er, über Saborski zu
urteilen?
Wilfried Saborski
stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal
um. »Ich kämpfe für Deutschland. Aber nicht nur.
Ich kämpfe auch für meinen Vater. Und deshalb für
mich. Sie hingegen haben im Krieg nur Befehlen gehorcht. Ohne jedes
persönliche Motiv. Also spielen Sie heute nicht den Richter
und urteilen über mich. Sie jedenfalls eignen sich nicht
für diese Rolle. Im Übrigen wäre es besser für
Sie, wenn Sie vergessen, was sich heute hier ereignet hat.«
Mit diesen Worten verließ er die Laube.
Goldstein blieb
verstört zurück. Er wusste, dass Saborski Unrecht
begangen hatte. Niemand durfte ohne Beweis seiner Schuld verurteilt
werden, welche Befehle auch immer erteilt worden waren. Aber hatte
er, Goldstein, seinen Kameraden nicht ebenso zum Tod verurteilt, um
nicht selbst im Gas zu krepieren? Langsam füllten sich seine
Augen mit Tränen. Er hatte versagt. Damals im Granattrichter
und auch heute. Er hätte heute einschreiten und
Weitere Kostenlose Bücher