Franzosenliebchen
zugleich. Sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis zum
Hals. Was erwartete ihn? Er wischte sich mit dem Taschentuch den
Schweiß von Stirn und Händen, atmete tief durch, klopfte
und betrat, nachdem er ein deutliches »Herein«
vernommen hatte, das Büro.
Hinter einem
Schreibtisch saß ein Mann, kaum älter als er selbst.
Goldstein stellte sich vor.
»Herr
Goldstein«, begrüßte ihn der andere
geschäftsmäßig und sah auf die Uhr. »Sie sind
einige Minuten zu früh. Aber das macht ja nichts. Dann
können wir uns ja noch etwas unterhalten.« Der Mann
streckte ihm die Hand entgegen. »Kriminalsekretär
Hofer.«
Hofer war Goldstein
vom ersten Moment an unsympathisch. Wenn es keine Rolle spielte,
dass er zu früh war, warum hatte der Kerl es dann erwähnt
und dabei auch noch demonstrativ auf die Uhr geblickt? Trotzdem, er
durfte sich seine Abneigung nicht anmerken lassen. »Kennen
Sie den Grund, warum ich zu dem Herrn Kriminaldirektor bestellt
wurde?«
Hofer machte ein
wissendes Gesicht und wiegte den Kopf hin und her. »Das wird
Ihnen Kriminaldirektor Sander selbst sagen.«
Einen Moment schwiegen
die Männer sich an. Dann bemerkte Hofer: »Jetzt ist es
elf Uhr. Ich werde Sie anmelden.« Der Kriminalsekretär
griff sich eine Akte, öffnete, ohne auf eine Antwort auf sein
Klopfen zu warten, die Zwischentür zu Sanders Büro und
schloss sie hinter sich.
Es dauerte fast zehn
Minuten, bis Hofer wieder erschien. »Der Herr
Kriminaldirektor ist bereit, Sie zu empfangen.«
Sanders Büro war
mit dunklem Holz vertäfelt. In einer Ecke stand eine wuchtige
Ledergarnitur, schwere Vorhänge waren vor die raumhohen
Fenster gezogen worden. Hinter dem breiten Schreibtisch thronte ein
fülliger Mann mit schütterem Haar. Kriminaldirektor
Sander trug einen dunklen Anzug mit Weste, ein Hemd mit steifem
Kragen und eine ebenfalls dunkle Krawatte. Ein großes Monokel
war vor sein linkes Auge geklemmt.
»Sie sind also
Goldstein. Treten Sie näher, damit ich nicht so laut sprechen
muss«, sagte Sander mit heiserer Stimme. »Ich habe mir
eine Erkältung zugezogen und das Sprechen fällt mir
schwer.«
Goldstein, der direkt
hinter der Tür stehen geblieben war, kam der Aufforderung
nach.
Der Kriminaldirektor
blätterte in der Akte, die eben noch auf Hofers Schreibtisch
gelegen hatte. Goldstein spürte einen Kloß im Hals.
Entschied sich jetzt seine Zukunft?
»Sind Sie
mosaischen Glaubens?« Sander musterte Goldstein durch sein
Monokel. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Ihr Name
…«
»Nein«,
beeilte sich Goldstein zu versichern. »Das ist nicht der
Fall. Ich stamme aus einer alteingesessenen Straßburger
Familie. Meine Vorfahren waren Juweliere. Daher der
Name.«
So ganz stimmte das
nicht. Ein Urahn Goldsteins - ein gewisser Cerf Goldstein - war um
1725 als Jude in der Pfalz geboren worden und hatte sich gegen 1760
in Straßburg niederlassen dürfen. Cerf Goldstein war
Händler gewesen und hatte die im Eisass
stationierten Truppen des französischen Königreiches mit
Lebensmitteln versorgt. Kurz darauf war er zum christlichen Glauben
übergetreten und hatte eine Katholikin geheiratet. Cerf war
der letzte gläubige Jude in der Familie gewesen.
»Ihre Eltern
…«
»Mein Vater war
Lehrer. Er unterrichtete am Gymnasium in Straßburg. Meine
Mutter war Französin. Meine Eltern sind beide früh
verstorben. Während des Krieges«, setzte Goldstein
hinzu.
Sander nickte
verständnisvoll.
»Die Matura habe
ich 1913 bestanden. Danach habe ich an der
Kaiser-Wilhelm-Universität in Straßburg Jura
studiert.«
»Welcher
Verbindung gehörten Sie an?«
»Der
Burschenschaft Germania. Seit dem ersten
Semester.«
»Gute Wahl. Und
dann? Haben Sie gedient?«
Unwillkürlich
nahm Goldstein Haltung an. »Jawohl. Beim
Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 258. Kriegsfreiwilliger«,
setzte er nicht ohne Stolz hinzu.
»Wo haben Sie
gelegen?«
»Unter anderem
vor Verdun.«
»Wann?«
»Von September
1917 bis November 1917.«
»Und Ihr letzter
Dienstgrad?«
»Leutnant, Herr
Kriminaldirektor.«
»Bei der
Infanterie. So, so. Gute Truppe. Tapfere Jungs. Was haben Sie nach
dem Krieg gemacht?«
»Ich bin nach
Berlin gegangen. In Straßburg konnte ich ja nicht mehr
bleiben. Ich habe versucht, mein Studium wieder aufzunehmen, aber
…«Er machte eine Pause.
»Geldmangel?«,
vermutete Sander.
»Ja«,
gestand Goldstein ein.
»Verstehe. Und
weiter?«
»Ich habe mich
dem Freikorps Loewenfeld angeschlossen.«
»Loewenfeld hat
doch Kapp unterstützt.
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