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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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feucht-fröhliche Stunden in dem
gemütlichen Schankraum verbracht. Sein letzter Besuch in der
Gaststätte lag allerdings fast ein halbes Jahr
zurück.
    Es war kurz nach eins
und die Kneipe hatte erst vor fünf Minuten aufgemacht.
Goldstein war der erste Gast und bei seinem Eintreten war der Wirt
damit beschäftigt, die Preise für Speisen und
Getränke, die noch am Vorabend gegolten hatten, von einer
großen Schiefertafel zu wischen und mit feiner Schrift die
heutigen aufzutragen: vierhundert Reichsmark für ein Glas
Bier. Das waren fünfzig Mark mehr als gestern.
    Goldstein warf einen
prüfenden Blick in seine Geldbörse und orderte trotz der
Preisanhebung ein Bier. Dann öffnete er den Umschlag, den er
von Hofer erhalten hatte, zog das Dokument heraus, das von den
Herner Beamten Hauptwachtmeister Schäfer und Oberwachtmeister
Stadel verfasst worden war, und begann zu lesen. 
    Am 26. Januar
diesen Jahres gegen zehn Uhr abends verließ die
Hausangestellte Agnes Treppmann, gebürtig am 27. Juni 1903 im
Amte Sodingen und wohnhaft dortselbst bei ihren Eltern Hermann und
Erna Treppmann, Gemeinde Börnig, Schadeburgstraße 31,
das Wohnhaus ihres Arbeitgebers Abraham Schafenbrinck, Bochumer
Straße 54 zu Herne, um mit dem Nahverkehrszug um 22.19 Uhr
vom Herner Hauptbahnhof zum Bahnhof in Börnig zu
fahren.
    Die Treppmann hat
ein Billett am Fahrkartenschalter erworben (es wurde später
bei ihr gefunden) und in letzter Sekunde den abfahrenden
Personenzug nach Dortmund erreicht (Aussage des Fahrdienstleiters
Sutthof). Planmäßig hielt der Zug acht Minuten
später am Bahnhof Börnig, wo die T. vermutlich
ausgestiegen ist. Augenzeugen hierfür gibt es allerdings
nicht.
    Als die T. um
Mitternacht entgegen ihrer vorherigen Ankündigung immer noch
nicht im elterlichen Hause erschienen war, erkundigte sich der
Vater fernmündlich bei dem Arbeitgeber der T. Als er von ihm
erfuhr, dass seine Tochter schon vor zwei Stunden sein Haus
verlassen hatte, mobilisierte der Vater Hermann T. einige Nachbarn,
um nach dem Mädchen zu suchen.
    Die Suche
erstreckte sich die ganze Nacht hindurch. Aber erst am Morgen
fanden der Metallarbeiter Karl Soltau, wohnhaft Gemeinde Sodingen,
Gerther Straße 12, und der Zechenschreiber Adolf Schneider,
wohnhaft Barrestraße 26 in Börnig, die Leiche der T. im
Keller eines abgebrannten Hauses an der Schadeburgstraße. Die
beiden Männer informierten den Vater und den Pfarrer Meier der
nahe gelegenen Kirchengemeinde, der seinerseits fernmündlich
die Polizeiinspektion in Sodingen in Kenntnis
setzte.
    Zum besseren
Verständnis: Die Polizeistation in Sodingen ist seit dem 25.
Januar von französischem Militär (ein Offizier, drei
Mannschaftsdienstgrade) besetzt. Seit der Ausweisung des Leiters
der Polizeiinspektion Sodingen, Polizeihauptmann Dellbrach, aus dem
besetzten Gebiet werden dort alle Anzeigen, Meldungen und Anrufe
zunächst von diesem französischen
Offizier, Lieutenant Dobrois, der auch unserer Muttersprache
mächtig ist, entgegengenommen. Erscheint ihm der Sachverhalt
unwichtig, übergibt er die Angelegenheit an deutsche
Polizisten zur weiteren Bearbeitung. In allen Fällen, die
seiner Meinung nach französische Interessen berühren
könnten, mobilisiert Lieutenant Dobrois seine Untergebenen,
häufig ohne deutsche Polizisten hinzuzuziehen. Dieses hat in
den letzten Tagen und Wochen regelmäßig zu heftigen
Auseinandersetzungen mit den Franzosen geführt, da die
deutsche Polizei zum einen die Anordnungen der Besatzungsmacht wie
befohlen nicht anerkennt und jede Kooperation verweigert,
andererseits aber auch ihre Posten nicht verlassen kann und will,
um den Anspruch auf alleinige Vollziehbarkeit der staatlichen
Gewalt durch deutsche Stellen nicht aufzugeben und die Interessen
der eigenen Bevölkerung so weit wie möglich zu
schützen.   
    Gegen neun Uhr
morgens rückten Dobrois und seine Männer aus und
forderten Hauptwachtmeister Schäfer und Oberwachtmeister
Stadel ultimativ auf, sie zu begleiten. Sie erreichten den Fundort
der Leiche etwa zehn Minuten später.
    Wie schon
erwähnt, lag die vollständig bekleidete Leiche in einem
der Kellerräume, unzureichend unter alten Lumpen versteckt.
Eine Skizze des Fundortes findet sich in den
Anlagen.
    Hinweis: Wie die
spätere gerichtsmedizinische Untersuchung zweifelsfrei
feststellte, wurde mit der T. weder vor noch nach ihrem Tod Unzucht
getrieben. Der Tod der T. trat durch Ersticken ein, ausgelöst
durch das Würgen mit einem etwa vier Zentimeter

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