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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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etwas.
    »Also hört
zu: An den Herrn General in Castrop. Friedliche Arbeiter sowohl,
als auch diensttuende Polizeibeamte sind am Mittwoch, den 7.
Februar des Abends von Besatzungstruppen festgenommen und alsdann
auf der Wache im Casino der Zeche Teutoburgia von
französischen Offizieren und Mannschaften mit Reitpeitschen
und Gewehrkolben misshandelt worden. Seitdem die Besatzungstruppen
auch in der Gemeinde Holthausen - Zeche Teutoburgia - ihren Einzug
gehalten haben, sind Schikanierungen und Misshandlungen von
Bergarbeitern, die von und zur Schicht gehen, an der Tagesordnung.
Mit Bajonetten und Gewehrkolben wurde grundlos auf sie eingestochen
bzw. -geschlagen. Dass hierdurch die Stimmung unter der
Bergarbeiterschaft auf das Höchste gereizt ist, bedarf wohl
nicht erst noch eines besonderen Hinweises. Die gesamte
Bevölkerung des Amtes ist nicht gewillt, sich diese
Misshandlungen auch weiterhin gefallen zu lassen, sondern erhebt
hiergegen den allerschärfsten Einspruch und tritt zum Zeichen
des einmütigen Protestes in einen 24-stündigen
Generalstreik.«
    »Das reicht
nicht. Wir sollten unbefristet streiken.«
    »Und wer bezahlt
Brot und Miete? Meine Familie muss essen und braucht ein Dach
über dem Kopf.«
    »Das Geld ist
doch ohnehin nichts mehr wert.«
    Wieder debattierten
alle lautstark durcheinander. Für die Anhänger der
Kommunisten war die Inflation nichts anderes als der Versuch des
Kapitals, die Volksmassen, vor allem aber die Arbeiter, mit
besonders perfiden Methoden auszubeuten. Für die Nationalisten
waren England und Frankreich die Alleinschuldigen an der Misere.
Denn ohne Versailler Vertrag und die Besetzung des Rheinlandes

    Erst dem Wirt gelang
es, wieder etwas Ruhe einkehren zu lassen. »Wer will noch
etwas trinken?«, donnerte er von der Tür so lautstark in
den Saal, dass einige zusammenzuckten.
    Der Lehrer nutzte den
Moment und stand erneut auf. »Wir haben eben noch einige
Forderungen ausgearbeitet.«
    »Wer ist
›wir‹?«, fragte Wilfried Saborski.
    »Hermann
Treppmann und ich.«
    »Lasst
hören«, rief der Wortführer der
Linksfraktion.
    »Gleichzeitig
fordern wir: 1. Die Ablösung der auf Teutoburgia gelegenen
Truppen. Und …«
    »Aller
Truppen«, schrie jemand.
    »2. Die bindende
Zusicherung, dass a) die an den Misshandlungen beteiligten
Offiziere und Mannschaften streng bestraft und die Misshandelten
vollständig entschädigt werden und b) die Polizeibeamten
und die Beamtenschaft überhaupt in der Ausübung ihres
Dienstes nicht behindert werden. Außerdem ist es von der
Einwohnerschaft des Amtes nicht einzusehen, weshalb die
Notwendigkeit bestehe, dauernd das Seitengewehr aufgepflanzt zu
tragen. Insbesondere empfindet dieses die Arbeiterschaft als eine
dauernde Bedrohung und fordert unter Berücksichtigung der
Friedfertigkeit der deutschen Bevölkerung, dass dieses
unterbleibt.«
    »Eben. Die
Friedfertigkeit unserer Landsleute ist das Problem«, maulte
Saborski. »Lassen sich brav wie die Lämmer zu
Schlachtbank führen.«
    »Reichskanzler
Cuno hat zum passiven Widerstand aufgerufen. Nicht zum
militärischen«, erwiderte der Lehrer.
    »Auch so ein
halbherziger Vorschlag. Passiver Widerstand.« Es war, als
spuckte Saborski die Worte aus. »Aber was kann man schon von
einem Parteilosen erwarten, der als Kanzler einem Kabinett
vorsteht, dessen Mitglieder aus der Wirtschaft
kommen.«
    »So ist es.
Kapitalistenknechte. Die ganze Bande.«
    Wieder lachten
einige.
    »Also, was ist
nun? Stimmt ihr den Forderungen zu?« Der Lehrer sah in die
Runde.
    Zögernd hoben die
Ersten ihre Hände. Andere folgten. Schließlich stimmten
fast neunzig Prozent der Anwesenden für den eintägigen
Generalstreik.

9
    Montag, 12. Februar
1923
    In der dunklen
Kleidung war der Mann mit dem Armeerucksack kaum auszumachen. Er
hätte sich auch keinen besseren Zeitpunkt für die
Ausführung seines Auftrages aussuchen können: Tief
hängende Wolken verdeckten den Mond, es war stockfinster.
Wegen der Ausgangssperre war jetzt, gegen zwei Uhr morgens, niemand
unterwegs. Nur vor den Franzosen musste er sich in Acht nehmen.
Doch bei dieser Eiseskälte würden sie ihre
Streifengänge auf das Notwendigste
beschränken.
    Geschickt kletterte
der Mann, kleine Vorsprünge ausnutzend, die Mauer, die das
Anwesen von den Nachbargrundstücken trennte, hoch und legte
sich flach auf die Mauerkrone. Er atmete einige Male tief durch und
lauschte in die Dunkelheit. Alles war still. Befriedigt klammerte
er sich mit beiden Händen an die

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