Franzosenliebchen
schon lange
vorgehabt, aber immer wieder verschoben hatte.
Am späten
Nachmittag dann konnte er endlich die angeforderten Bilder im
Adelsclub abgeben. Hofer war zwar nicht für ihn zu sprechen,
aber der Beamte an der Pforte versicherte Goldstein, dass die
Bilder noch am heutigen Tage auf Hofers Schreibtisch liegen
würden. Sicherheitshalber forderte Goldstein eine schriftliche
Bestätigung dafür ein, dass die Bilder rechtzeitig von
ihm abgegeben wurden, was der Pförtner erst nach einer
längeren Diskussion akzeptierte.
Es war früher
Abend, als Goldstein eine preiswerte Speisegaststätte in der
Nähe des Gendarmenmarktes betrat. Er bestellte eine Bulette
mit Rotkohl und Kartoffeln, dazu ein Bier. Auch diese Mahlzeit
überstieg eigentlich seine finanziellen Möglichkeiten,
aber die Aussicht auf das Gehalt, welches er ab Montag beziehen
würde, ließ ihn seine Bedenken vergessen.
Zwei Stunden
später betrat er das Stille Eck, um Jimmy John mitzuteilen,
dass er ab sofort seine Nebentätigkeit aufzugeben gedachte.
Das Stille Eck hatte gerade erst geöffnet und war noch fast
leer. Nur an einem der hinteren Tische, direkt neben der
Tanzfläche, saß ein Paar.
Das Stille Eck war
eines jener Dutzender Berliner Tanzlokale, in denen sich jeden
Abend eine Vielzahl alleinstehender Damen einfanden, um zu tanzen
und sich anderweitig zu amüsieren. Vier Jahre Stellungskrieg
an fast allen Fronten Europas hatten die männliche
Bevölkerung zwischen achtzehn und vierzig drastisch
dezimiert.
Die Tische waren so um
die halbrunde Tanzfläche angeordnet, dass die daran Sitzenden
auch von den hinteren Reihen aus einen guten Blick auf das
Geschehen weiter vorn hatten. Die Fenster waren mit
schweren, bodenlangen Vorhängen verdunkelt. Mehrere kleine
Leuchter an der Decke spendeten ein schummriges Licht. Auch die
Tanzfläche lag im Halbdunkel, sodass die Illusion von
Intimität vermittelt wurde. Unmittelbar hinter der
Tanzfläche befand sich eine kleine, etwas erhöhte
Bühne, auf der in der Regel eine fünfköpfige Kapelle
aufspielte. Zu dieser frühen Stunde allerdings war die
Bühne noch leer.
Gegenüber, am
anderen Ende des Saales, warteten die Kellner und die
männlichen Eintänzer an der langen Theke auf Kundschaft.
Auch Goldstein war ein solcher Eintänzer, von vielen auch
Gigolo genannt. Ihre Aufgabe war es, den Damen Gesellschaft zu
leisten, mit ihnen zu tanzen und sie natürlich zum
Getränkekonsum zu animieren.
Ein guter
Eintänzer benötigte nicht nur ein ansprechendes
Äußeres, sondern musste auch über gute
Umgangsformen verfügen und charmant plaudern können. So
kam es, dass sich häufig verarmte Adelige und ehemalige
Offiziere als Gigolos verdingten.
»Ist schon
wieder Freitag?«, fragte Jimmy John mit seiner Fistelstimme,
als er Goldstein zur Theke kommen sah. John sprach mit leichtem
österreichischem Akzent und keiner der Beschäftigten
glaubte, dass ihr Boss wirklich so hieß, wie er sich nannte.
Er war klein und von gedrungener Gestalt und gehörte zu der
Sorte Männer, die mit Mitte zwanzig schon wie fünfzig
aussahen, allerdings dann aber auch optisch nicht weiter
alterten.
»Nein. Ich bin
gekommen, um dir zu sagen, dass ich nicht mehr für dich
arbeiten werde.«
John fuhr fort, die
Champagnerschale zu polieren.
»Schade. Du bist
wirklich gut. Ich verliere dich nur ungern. Kaum jemand ist so
hübsch wie du.« Er kicherte leise, hob das Glas hoch,
musterte es kritisch und stellte es schließlich zu den
anderen auf ein Silbertablett. Dann griff er zu dem nächsten.
»Zahlt jemand besser als ich?«, fragte er.
»Das ist es
nicht. Ich verlasse Berlin.«
»Wegen einer
Frau?«
»Nein.
Berufliche Gründe.«
»Die hiesige
Damenwelt wird trauern, mein schöner Gigolo.«
»Nenn mich nicht
so. Du weißt, wie ich das hasse.«
Jimmy John lachte
trocken auf. »Sei nicht so empfindlich. Außerdem ist
das die Wahrheit. Bekommst du noch Geld von mir?«
»Ja. Für
das letzte Wochenende.«
»Wie
viel?«
»Fünfhundert
Mark.«
John griff in seine
Gesäßtasche, zückte eine Kellnergeldbörse,
zählte die Scheine ab und reichte sie Goldstein. »Dein
Anzug ist noch hier?«
»Natürlich.«
Zu den
Anstellungsbedingungen eines Eintänzers gehörte
selbstverständlich eine angemessene Kleidung. Da sich die
meisten der jungen Männer aber keine eigenen Anzüge
leisten konnten, streckten die Inhaber der Tanzlokale das Geld vor
und zogen den Betrag in Raten vom Verdienst ihrer Leute wieder
ab.
Bei Jimmy John war
Weitere Kostenlose Bücher