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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Zweyer
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emporschwangen. Ein
Bassist begann die Saiten zu zupfen und komplettierte den Orkan von
Geräuschen. Eine solche Musik hatte Goldstein noch nie
gehört. Urplötzlich beendeten alle Musiker ihr Spiel und
dann setzten wieder die Geigen ein, dieses Mal leise, getragener.
Goldstein hatte den Eindruck, ein Kind jammern zu hören. Und
nun sprang die erste Tänzerin auf die Bühne, drehte eine
Pirouette und sank langsam zu Boden. Als sie sich nicht mehr
rührte, kam die nächste. Erst jetzt nahm Goldstein wahr,
dass die jungen Frauen unter ihren bodenlangen schwarzen Schleiern
unbekleidet waren. Als sechs Tänzerinnen in einem Halbkreis
regungslos auf dem Bühnenboden lagen, nahm die Musik wieder an
Dramatik zu. Und dann trat sie auf.
    Anita Berber trug
einen ähnlichen Schleier wie die anderen Tänzerinnen,
jedoch in Weiß. Im krassen Gegensatz dazu stand der schwarze
Zylinder, den sie nach nur drei kurzen Schritten von ihrem Kopf
herunterriss und ins Publikum warf. Die Menge johlte.
    Eine nach der anderen
erhoben sich die Tänzerinnen, umkreisten ihren Star, nahmen
ihn schließlich mit wehenden Schleiern vollständig in
ihre Mitte, sodass nur noch der Kopf auszumachen war. Anita riss
beide Arme nach oben und tauchte dann ab zwischen die
Leiber.
    Goldstein hielt den
Atem an. Für einige Sekunden rührte sich keine der
Tänzerinnen. Dann hoben die sechs Frauen ebenfalls ihre Arme
und formten mit ihren Schleiern eine Art Zelt. Plötzlich, nach
einem Paukenschlag, fielen die Frauen auf die Knie. Die Schleier
lösten sich wie von Zauberhand von ihren Körpern. Anita
Berber wurde sichtbar. Sie stand ebenfalls völlig nackt
bewegungslos da. Die Tänzerinnen streckten ihre Hände zu
Anitas Körper aus und streichelten ihn mit lasziven
Bewegungen. Das Publikum raste. Goldsteins Mund wurde
trocken.
    »Na, habe ich
dir zu viel versprochen?«, flüsterte Beer. »Die
Frau ist doch eine Sensation, oder?«
    »Das …
das ist umwerfend«, krächzte Goldstein, ohne den Blick
vom Geschehen auf der Bühne wenden zu können.
    Die Herrenriege an den
vordersten Tischen war aufgesprungen. Einer von ihnen, ein feister
Kerl mit Glatze, rief den Frauen etwas zu. Katzengleich sprang die
Berber von der Bühne und war mit zwei, drei Schritten bei dem
Dicken, riss die Sektflasche aus dem Kühler und
zertrümmerte sie auf dem Schädel des Zwischenrufers. Der
sank blutüberströmt zu Boden. Tumult brach aus. Die
Begleiter des Dicken versuchten, die nackte Frau zu packen, die
sich den Griffen aber entziehen konnte, auf die Bühne
zurücksprang und seitwärts im Dunkel verschwand. Mehrere
stämmige Angestellte tauchten auf und versuchten, die
aufgebrachten Freunde des Niedergeschlagenen zu beruhigen. Ohne
Erfolg, wenige Momente später war eine heftige Schlägerei
im Gange.
    Beer drückte dem
nächsten Kellner einige Geldscheine in die Hand und sagte dann
kichernd zu Goldstein: »Zeit zu gehen. Besser wird’s
nicht.«

13
    Freitag, 16. Februar
1923
    Ungeduldig ging
General Caron auf und ab. Der Befehlshabende des Generalkommandos
des 32. französischen Armeekorps wartete darauf, dass ihm sein
Bursche das Frühstück servierte.
    Vor einigen Tagen war
der Quartieroffizier bei den Herner Behörden vorstellig
geworden, um standesgemäße Räume für den
General und seine Offiziere zu requirieren. Nach einigem Flin und
Her war man sich einig geworden, dass General Caron in der Villa
Brinkmann ganz in der Nähe des Stadtgartens residieren sollte.
Der Brauereidirektor, dem die Villa gehörte, und seine Familie
wurden für die Zeit der Einquartierung in drei Mansardenzimmer
verbannt.
    »Vite,
vite«, rief Caron, als sein Untergebener endlich das Zimmer
betrat. »Beeil dich.«
    Hastig drapierte der
Soldat das Frühstück auf dem großen Eichentisch,
goss Kaffee ein und verschwand wieder.   
    Der General nahm
Platz, nahm das Croissant zur Hand, drückte es prüfend
und verzog das Gesicht. Trotzdem biss er hinein. Dann trank er
einen Schluck Milchkaffee.
    Es klopfte. General
Caron legte das Gebäck beiseite, wischte sich mit der
Serviette den Mund ab und rief: »Oui!« 
    Colonel Dupont,
Verbindungsoffizier zum französischen Nachrichtendienst,
betrat mit einer Aktenmappe unter dem linken Arm den Raum,
grüßte formell und wartete, bis der General ihn zum
Sprechen aufforderte.
    »Einfach
schrecklich diese Croissants. Viel zu weich. Gibt es denn niemanden in
dieser verdammten Stadt, der vernünftige Croissants backen
kann?«
    »Ich werde mich
darum kümmern, mon

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