Franzosenliebchen
hier.«
»Wo
dann?«
»Lass dich
überraschen.« Beer drehte sich um, setzte ein
strahlendes Lächeln auf und winkte der Brünetten herzlich
zu. Dann ging er zurück zu ihrem Tisch.
Goldstein verbrachte
die nächsten Stunden an der Bar, Johns Einladung annehmend,
und beobachtete das Treiben. Er war schon etwas angetrunken, als
Beer endlich in seiner Straßenkleidung zu ihm trat.
»So. Jetzt gehen wir zum gemütlichen Teil des Abends
über. Kennst du Anita Berber?«
Goldstein meinte, den
Namen schon einmal gehört zu haben.
»Sie ist die
Sensation Berlins. Einfach großartig. Du musst sie einfach
gesehen haben.«
»Was macht sie?
Singen?«
»Tanzen.«
»Tanzen?«
»Ja. Aber wie.
Los, komm.«
Goldstein dachte an
das letzte Mal, als Thomas Beer und er sich in das Berliner
Nachtleben gestürzt hatten. Einen halben Monatslohn ärmer
und mit einem schweren Kopf war er am Morgen in den Armen einer ihm
völlig unbekannten Frau in einer Absteige am Prenzlauer Berg
aufgewacht, ohne zu wissen, wie er dorthin geraten war. Fluchtartig
war er aus dem Zimmer gelaufen und hatte damals heilige Eide
geschworen, zukünftig solche Eskapaden zu unterlassen.
Vermutlich lag es an den für ihn ungewohnten Mengen Sekt, die
er auf Johns Kosten getrunken hatte, dass er sich jetzt Zusagen
hörte.
»Und wohin gehen
wir?«
»In die Weisse
Maus.«
Bis zur
Jägerstraße in Mitte war es nicht weit. Auf dem Weg
dorthin erzählte Beer aufgeregt, was er über Anita Berber
wusste: »Sie tanzt nackt, stell dir das vor. Ganz nackt.
Impressionistischer Ausdruckstanz sei das, habe ich in der Zeitung
gelesen. Aber wenn du mich fragst … Sie hatte schon
Auftritte im Apollo-Theater und im Wintergarten. Wenn sie nicht auf
der Bühne steht, zieht sie sich wie ein Mann an und manchmal
führt sie einen Affen an einer Kette spazieren. Sie soll
goldene Fußketten tragen und einen grellrot geschminkten
Nabel haben. Mann, unglaublich: einen roten Nabel. Und erst die
anderen Tänzerinnen. Man sagt, dass man sich mit ihnen in
aller Öffentlichkeit über den Preis für eine Nacht
einigen kann. Man bietet, während sie tanzen, und wenn der
Preis stimmt und ihnen der Kerl gefällt, geben sie dir zu
verstehen, dass du den Zuschlag erhalten hast.«
Beers Begeisterung
steckte Goldstein an.
In der Weissen Maus
traf sich, was in Berlin mondän sein wollte: bekannte und
unbekannte Literaten, Zuhälter, Maler, Friedrichstraßennutten mit
ihren Freiern, Polizeispitzel und Ganoven, Schieber und
Musiker.
Die Einrichtung
ähnelte der des Stillen Ecks: eine erhöhte Bühne mit
ausreichend Platz für eine Musikkapelle und den Darbietungen
der Tänzerinnen.
Die beiden Freunde
fanden Platz an einem der hinteren Tische. Die Luft war
rauchgeschwängert und Beer orderte, ehe Goldstein protestieren
konnte, mit einer großspurigen Geste eine Flasche Schampus.
»Aber den besten, den Sie haben!« Der kleine Gigolo
hatte sich in einen Lebemann verwandelt. »Und zwei Zigarren
für mich und meinen Freund. Havannas.«
Goldstein sah sich um.
Ein Teil der Gäste stand nahe der Bühne, fast alle
hielten Gläser in den Händen. Frauen mit kurz
geschnittenen Haaren und in Männerkleidung zogen mit
demonstrativer Gelassenheit an Zigarren, einige Arm in Arm mit
Geschlechtsgenossinnen. Manche küssten sich sogar ohne Scham.
An einem der Tische, nicht weit entfernt von ihnen, tauschten im
Halbdunkel zwei Paare heftig Zärtlichkeiten aus. Die sexuell
freizügige Atmosphäre erregte Goldstein.
Ganz vorn hatte eine
Gruppe Männer Platz genommen, die von Zeit zu Zeit laut
auflachten, so als ob einer von ihnen einen guten Witz erzählt
hatte.
Zwei junge Männer
im Frack betraten nun die Bühne. Als das Publikum sie
bemerkte, verstummte für einen Moment das Stimmengewirr. Doch
die beiden zogen lediglich die schweren dunkelblauen
Samtvorhänge vor der Bühne zu.
Endlich wurde das
Licht gelöscht. Ein Scheinwerfer malte einen hellen Kreis auf
den Bühnenvorhang. Schlagartig wurde es still. Der Vorhang
öffnete sich einen Spaltbreit und ein kleiner, etwas
dicklicher Mittfünfziger schlüpfte hindurch.
»Meine Damen und
Herren«, rief er mit heiserer Stimme.
»Und nun
begrüßen Sie mit mir die unvergleichliche Anita Berber
und ihr Ensemble.«
Donnernder Applaus
brach los. Der Vorhang wurde zur Seite gerafft, die Kapelle kam zum
Vorschein. Ein kurzer Trommelwirbel, dann ertönten
Geigenklänge. Der Pianist nahm den ersten Ton auf, folgte den
Geigen, die sich in immer schrillere Höhen
Weitere Kostenlose Bücher