Franzosenliebchen
Alters,
mürrisch.
»Ein Bier,
bitte.«
Die vom Rauch
vergilbten Wänden des Lokals schmückten
Jagdtrophäen: präparierte Rehschädel, ein Geweih und
der ausgestopfte Kopf eines Ebers. Die gesamte Einrichtung sah so
aus, als ob sie schon Vorjahren hätte erneuert werden
müssen. Fünf der sieben Tische waren unbesetzt. An dem
sechsten nippten zwei Damen an ihren Getränken und warfen
Goldstein Blicke zu, die er von den Nutten der Berliner
Friedrichstraße kannte. An dem letzten Tisch spielten drei
Männer Karten. Den Gesprächsfetzen nach, die Goldstein
aufschnappte, handelte es sich bei ihnen um Deutsche.
»Ihr Bier.
Wollen Se sofort zahlen?« Der Wirt setzte das Glas vor dem
Gast ab.
Als Goldstein den Kopf
schüttelte, murmelte der Glatzkopf etwas Unverständliches
und malte einen Strich auf den Bierdeckel.
Vier Striche
später hatten die Frauen eingesehen, dass Goldstein kein Kunde
werden würde, und ihre Bemühungen, mit ihm in Kontakt zu
treten, eingestellt. Von den drei Kartenspielern waren nur noch
zwei da, die im Wechsel Bier und Korn vertilgten und ansonsten
stumpfsinnig in ihre Gläser schielten. Goldstein fragte sich
langsam, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, das
Fässchen aufzusuchen. Er bestellte sein nächstes Bier. In
dem Moment wurde die Eingangstür aufgerissen und mehrere
lärmende Franzosen betraten das Lokal.
»Vin. Vin
rouge«, rief einer. »Deux bouteilles.«
Die Franzosen waren in
Zivil. Zwei von ihnen drängten zur Theke, schoben Goldstein
unsanft zur Seite und ließen sich von dem diensteifrigen Wirt
ein Tablett mit Weingläsern und zwei Flaschen Wein
aushändigen. Die anderen Soldaten hatten sich schon an einem
Tisch niedergelassen, auf dem die Gläser nun kreisförmig
angeordnet wurden. Ein Mann griff nach einer Weinflasche und goss
die Gläser voll, dem Rund folgend, das die Gefäße
bildeten. Anschließend prosteten sich die Franzosen
fröhlich zu.
Goldstein erkannte den
Soldaten wieder, mit dem er sich am Vortag auf dem Bahnhof
unterhalten hatte. Da dieser aber seitwärts zur Theke hockte
und noch dazu nur Blicke für den Wein und seine Kameraden
hatte, bemerkte er Goldstein nicht.
Eine der
professionellen Liebesdienerinnen witterte ein Geschäft und
erhob sich von ihrem Stuhl. Sie beugte sich zu einem der Soldaten
hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Gleichzeitig kraulte
sie ihm mit einer Hand den Nacken.
Unwirsch warf der Mann
seinen Kopf zurück, schlug den Arm der Nutte zur Seite und
zischte verärgert auf Deutsch: »Lass
das!«
»Dann eben
nicht«, maulte die junge Frau und wandte ihre Aufmerksamkeit
dem nächsten Soldaten zu. Der ließ sich die
Zärtlichkeiten nicht nur gefallen, sondern zog die Frau auf
seinen Schoß, schlang seinen linken Arm um ihren
Oberkörper und betatschte sie. Die Prostituierte kreischte und
zog den Kopf des Soldaten näher zu sich heran, damit er ihre
weiblichen Formen besser spüren konnte.
Die zweite
Prostituierte folgte dem Beispiel ihrer Kollegin und landete
schließlich bei einem klein gewachsenen Dicken, der der Frau
gleich unter den Rock griff.
Es dauerte keine zehn
Minuten, da hatten die sieben Männer weitere zwei Flaschen
Rotwein getrunken. Der Dicke kippte den Inhalt seines Glases in
einem Zug in sich hinein, stand auf und zog die kichernde
Prostituierte zu einer Tür am Ende des Schankraumes. Im
Vorbeigehen gab die junge Frau einem der beiden Zecher am
Nebentisch ein Zeichen. Der Soldat registrierte die Bewegung nicht,
im Gegensatz zu Goldstein. Er hatte diese Handbewegung Dutzende
Male in Berlin gesehen. Keine Sorge, bedeutete dieses Zeichen,
diesen Freier habe ich im Griff.
Goldstein beobachtete
das gierige Besäufnis mit einer Mischung aus Neugier und
Erschrecken. Er hatte mit seinen Kameraden hinter der Front und
später als Mitglied des Freikorps Loewenfeld solche und
ähnliche Feste gefeiert. Auch bei ihnen war der Alkohol in
Strömen geflossen und willige Frauen hatten ihnen gegen Geld
Vergnügen bereitet. Es war aber etwas anderes, ob man
Teilnehmer einer solchen Runde war oder ob man nur zusah.
Regelrecht verblüffend fand er die Erkenntnis, dass sich das
Verhalten des männlichen französischen Erzfeindes von dem
des Deutschen in nichts unterschied. Nur die Sprache klang
anders.
»Noch ’n
Bier?«, fragte der Wirt, ohne seinen Blick von den Franzosen
zu wenden, von denen er sich offensichtlich das bessere
Geschäft versprach.
»Ja.«
Goldstein nahm einen
Schluck und grübelte darüber
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