Franzosenliebchen
ich.«
»Agnes hat mit
Ihnen nicht darüber gesprochen?«
Gleisberg
schüttelte den Kopf.
»Waren Sie
enttäuscht?«
»Ja,
natürlich.« Er holte tief Luft. »Aber wenn Sie
damit andeuten wollten, dass ich sie deshalb ermordet haben
könnte, irren Sie sich. Ich habe Agnes wirklich
gerngehabt.«
»Nur gerngehabt?
Nicht mehr?«
Der junge Bergmann
runzelte die Stirn. »Vielleicht. Ich fand sie toll, habe mich
in ihrer Gegenwart immer wohlgefühlt. Ich kannte sie
schließlich schon, seit ich Kind war. Anfangs war sie
für mich eher wie eine Schwester. Später wurde das
anders. Ja, vielleicht habe ich sie wirklich
geliebt.«
Goldstein versuchte,
in den Gesichtszügen seines Gegenübers die Wahrheit zu
lesen. »Dann müssen Sie doch eifersüchtig auf den
Unbekannten gewesen sein?«
»Ein wenig. Aber
was hätte ich machen sollen?« Gleisberg musterte
Goldstein. »Sie glauben mir nicht?«
Goldstein zuckte mit
den Schultern. »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht,
was ich glauben soll. Ich wäre vermutlich höllisch
eifersüchtig gewesen.«
»Dann eben
nicht. Aber ich kann Agnes gar nicht ermordet
haben.«
»Und warum
nicht?«
»Ich war auf
Schicht. Nachtschicht. Fängt abends um zehn an. Da hat Agnes
noch gelebt. Stimmt doch,
oder?«
Widerstrebend nickte
Goldstein.
»Eben. Ich war
bis halb sieben in der Früh unter Tage. Der Fahrsteiger kann
das bestätigen. Wir hatten in dieser Nacht einen Bruch. Das
Plombieren hat etwas länger gedauert, als wir gedacht haben.
Deshalb bin ich sogar eine halbe Stunde über das Schichtende
hinaus unter Tage geblieben. Erst gegen sieben habe ich den
Pütt verlassen und mich, als ich von Agnes’ Verschwinden
hörte, sofort an der Suche beteiligt.« Tränen
füllten seine Augen. »Wann hätte ich sie umbringen
sollen?«
Der Polizist erhob
sich langsam und klopfte Gleisberg aufmunternd auf die Schulter. Er
würde Gleisbergs Aussage überprüfen, glaubte aber
nicht, dass ihn dieser belogen hatte.
Es hatte begonnen,
heftig zu regnen. Goldstein schlug den Kragen hoch und beeilte
sich, nach Hause zukommen. Als er sich dem Haus der Treppmanns
näherte, wäre ihm beinahe Lisbeth in die Arme gelaufen,
die sich ihre Mütze tief ins Gesicht gezogen und ihn daher
übersehen hatte.
»Du hast es aber
eilig«, lachte er.
»Bitte, helfen
Sie mir«, stieß sie atemlos hervor.
Goldstein schaute sie
prüfend an. »Was gibt es denn so
Dringendes?«
»Mein Vater. Er
ist am Bahnhof. Er will dort Franzosen verprügeln. Wenn nicht
Schlimmeres!«
»Wie kommst du
denn darauf?«, wunderte sich Goldstein.
»Nachbarn haben
ihn gesehen.« Lisbeth hing wie eine Klette an seinem
Unterarm. »Bitte!«
Die Sorge in ihrer
Stimme überzeugte ihn. »In Ordnung.« Er
schüttelte ihren Arm ab. »Ich sehe dort nach. Aber du
bleibst hier. Verstanden?«
Sie nickte
erleichtert. »Ich hole Mutter.«
Goldstein verfiel in
einen leichten Trab und erreichte so nach nur wenigen Minuten den
kleinen Bahnhof. Etwas atemlos lief er den Bahnsteig entlang,
konnte aber weder Treppmann noch französische Soldaten
ausmachen. Hatte sich jemand einen schlechten Scherz mit dem
Mädchen erlaubt?
Fast hatte er den
Bahnsteig schon wieder verlassen, als er hinter sich das
Geräusch einer zuschlagenden Tür hörte. Goldstein
drehte sich um und sah, wie sich ein Franzose gelangweilt eine
Zigarette ansteckte, das Gesicht ihm zugewandt. Und noch etwas
bemerkte Goldstein: Aus dem Unterholz hinter dem Soldaten trat
Hermann Treppmann hervor, eine Art Krücke in beiden
Händen. Gebückt näherte er sich dem Soldaten,
richtete sich auf, hob die Krücke hoch über den Kopf und holte zum
Schlag aus. Doch irgendetwas hatte den Soldaten gewarnt. Er fuhr
herum und riss mit einer raschen Bewegung den Karabiner von der
Schulter. Goldstein war schon losgerannt und erreichte den Soldaten
in dem Moment, als dieser die Waffe durchlud. Mit einem zweiten
Gegner konfrontiert, überlegte der Mann einen Moment zu lange,
wer der gefährlichere Angreifer war.
Irgendjemand schrie
laut: »Hermann! Nein.«
Dann war Goldstein
über dem Franzosen, drückte dessen Gewehr zu Seite. Ein
Schuss löste sich. Die beiden Männer fielen zu Boden. Aus
den Augenwinkeln verfolgte Goldstein, wie Erna Treppmann auf ihren
Mann zulief, ihn packte und mit sich zog.
Der Polizist
stieß dem Franzosen das rechtes Knie in den Unterleib,
woraufhin dieser laut aufstöhnte und von Goldstein
abließ.
Doch mittlerweile war
der zweite Soldat der Streife, von dem Schuss
Weitere Kostenlose Bücher