Franzosenliebchen
Natürlich,
das ist jeweils ein Satzende. Da muss tatsächlich ein Punkt
hin.«
Lisbeth schaute
triumphierend.
Goldstein schaute
erneut auf die Seiten. An Lisbeths Entdeckung konnte etwas dran
sein. Die beiden W standen möglicherweise für zwei
verschiedene Personen. Das würde erklären, warum sich
Agnes über die Ws mal positiv, mal negativ geäußert
hatte.
Aber für wen
stand W mit Punkt?
44
Donnerstag, 8.
März 1923
Es donnerte. Colonel
Dupont blickte erstaunt aus dem Fenster. Ein Gewitter zog auf. Das
erste in diesem Jahr. Eine heftige Sturmböe ließ die
Fensterläden klappern. Obwohl die Scheiben in dem
Klassenzimmer geschlossen waren, meinte Dupont, den Wind zu
spüren.
Der Colonel
beobachtete die dunklen Wolken, die sich am Horizont in
atemberaubender Geschwindigkeit zu bedrohlich wirkenden Bergen
auftürmten. Hinter seinem Rücken betrat jemand den Raum.
Dupont drehte sich um. »Bonjour, messieurs.«
Mit einer Handbewegung
lud der Colonel die Nachrichtenoffiziere Capitaine Mirrow und
Lieutenant Pialon ein, Platz zu nehmen.
»Wo und wann
wurde die Leiche gefunden?«, eröffnete der Colonel ohne
weitere Vorrede die Besprechung. Er goss Wasser in ein Glas, hob
fragend die Flasche und stellte sie, nachdem die anderen beiden
Offiziere den Kopf geschüttelt hatten, wieder auf den
Eichentisch. »Der Nachschub an Wein ist leider ins Stocken
gekommen«, erklärte er schmerzlich lächelnd.
»Ich hoffe, dieser Engpass wird bald behoben sein.
Also?«
Mirrow ergriff das
Wort. »Vor zwei Tagen in einem Waldstück südlich
der Zeche Mont-Cenis. In der Nähe des
Kaiser-Wilhelm-Turms.«
»Wer hat sie
entdeckt?«
»Spielende
Kinder. Sie haben die Polizeistation in Sodingen informiert. Ich
selbst war bei der Bergung der Leiche zugegen.«
»Berichten
Sie.«
»Bei dem Toten
handelt es sich um einen Arbeiter namens Karl Soltau. Er wurde
achtunddreißig Jahre alt, wie wir aus seinen Ausweispapieren
wissen, die er zum Glück bei sich trug. In seiner Tasche
fanden sich etwas Kleingeld sowie eine schwere, goldene Uhr. Es
sieht also so aus, als ob es sich nicht um Raubmord handelt. Die
Tat liegt nicht länger als drei, vier Tage zurück, meint
der Arzt.«
Lieutenant Pialon
übernahm das Gespräch. »Der Mann wurde erschossen.
Wahrscheinlich aber nicht am Fundort der Leiche. Wir haben seine
Wohnung durchsucht. Dort haben wir ebenfalls keine Tatspuren finden
können. Stattdessen …«
Dupont griff erneut
zum Wasserglas und unterbrach ihn. »Warum machen Sie sich so
viel Mühe mit einem toten Deutschen, meine
Herren?«
Auf diese Frage hatte
Capitaine Mirrow gewartet. »Soltau ist kein Unbekannter. Er
war einer der Zeugen im Mordfall Treppmann«, erwiderte
er.
»Tatsächlich?«
»Ja.«
Mirrow kostete die Überraschung seines Vorgesetzten aus.
»Gemeinsam mit einem Adolf Schneider. Beide haben behauptet,
zwei unserer Soldaten zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes
gesehen zu haben. Außerdem haben die beiden das Koppel
gefunden, mit dem das Mädchen angeblich erdrosselt
wurde.«
»Sehen Sie einen
Zusammenhang zwischen den beiden Morden?«, fragte der Colonel
interessiert.
»Wir sind uns
nicht sicher.« Capitaine Mirrow bat nun doch um Wasser,
schenkte sich ein und trank einen Schluck. »Auffällig
ist die zeitliche Nähe zwischen beiden Taten. Natürlich
kann das Zufall sein. Aber Soltau wurde nicht ausgeraubt und er
wurde mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe regelrecht
hingerichtet. Meiner Ansicht nach schließt das eine Affekttat
aus. Seine Leiche wurde vom noch unbekannten Tat- zum Fundort
geschafft. Dafür benötigte der oder die Täter einen
Karren oder ein anderes Transportmittel. Es handelt sich also um
eine von langer Hand geplante Tat. Nur: Was ist das
Motiv?«
»Sollte ein
Mitwisser ausgeschaltet werden?«
»Denkbar«,
antwortete Pialon. »Aber ich möchte noch einmal auf die
Durchsuchungsergebnisse von Soltaus Wohnung
zurückkommen.«
»Bitte.«
Dupont lehnte sich zurück.
Der Lieutenant griff
zu einer Aktentasche, die neben ihm auf dem Boden stand, und zog
mehrere Dokumente hervor. Demonstrativ langsam breitete er sie vor
dem Colonel aus. »Bei den Flugblättern, die Sie hier
sehen, handelt es sich um eine fast komplette Sammlung aller
Pamphlete, die in den letzten Wochen in Herne und Umgebung
aufgetaucht sind.«
»Sie werden
solche Schmähschriften in vielen deutschen Haushalten
finden«, entgegnete Dupont, nicht besonders
beeindruckt.
»Da dürften
Sie recht haben. Aber von jedem
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