Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
Beginn der Trauerfeier riss sie aus ihren Gedanken. Katinka lauschte aufmerksam den Worten des Pfarrers, als er Ida Schencks Vita zusammenfasste. Sie hatte als Reisejournalistin gearbeitet, war nach ihrem Studium der Geographie und Anglistik mit einem berühmten Professor auf Forschungsreisen an entlegene Plätze dieser Welt geflogen. Katinka dachte an den kleinen goldenen Schlüssel in ihrem Faxkasten und grinste in sich hinein. Sie vermutete, dass Ida in ihrem Schreibtisch die passenden Tagebücher aufbewahrte. Eigentlich gehörten sie den Verwandten, das war Katinka klar, aber sie hatte fest vor, später am Tag noch mal in Idas Villa zu gehen und sich dort umzusehen. Dann würde sie den Hausschlüssel, den Ida ihr überlassen hatte, in der Regnitz versenken, und den kleinen goldenen Schlüssel irgendwo in Idas Garten verlieren.
»Wer ist das denn?«, raunte sie Hardo zu. Eine Dame, etwa in Ida Schencks Alter, betrat die Kapelle. Sie trug schwarze Jeans und einen dicken Pulli, einen Strauß leuchtend gelber Rosen im Arm. Hardo zuckte die Schultern. Das Haar der Frau war natürlich grau und zu einem frechen Bubikopf gestutzt. Sie kam in Begleitung einer etwas jüngeren, graumäusigen Person. Beide veranstalteten ein ziemliches Spektakel, als sie sich in die Sitzreihe hinter Hassebergs Ex-Frau setzten. Der Pfarrer sah irritiert auf. Nach exakt zwanzig Minuten war die Zeremonie beendet, und die Friedhofsleute rollten Ida Schenck in ihrem schwarzen, reich verzierten Holzsarg nach draußen. Das Blumenbouquet leuchtete in Violett und Gelb. Katinka zog den Reißverschluss ihrer Regenjacke ganz hoch. Die Wolken hingen tief über der Stadt. Typisches Beerdigungswetter, dachte sie, während sie neben Hardo einige Meter hinter der Familie herging. Kräftige Windstöße fegten trockene Herbstblätter über die Wege. Ein Mann überholte sie in einem behäbigen Laufschritt, sein Bäuchlein wippte auf und ab. Er reihte sich bei den Hassebergs ein. Katinka schätzte ihn auf gerade mal Anfang zwanzig. Hübsche blonde Locken kringelten sich über seinen Ohren. Fragend sah sie Uttenreuther an. Er zuckte nur die Schultern.
Das Grab der Familie lag weit von der Kapelle entfernt. In rücksichtsvollem Abstand blieben Katinka und Hardo stehen. Als die Hinterbliebenen an das Grab getreten waren, um Blumen oder Erde hineinzuwerfen, ging auch Katinka nach vorn. Sie blieb einen Moment vor dem Sarg stehen und sagte im Stillen zu Ida Schenck: Sorry, ich habe noch den Schlüssel zu Ihrem Schreibtisch, aber Ihre Verwandten werden ihn bekommen. Sie meinte, Ida antworten zu hören, Verwandtschaft sei so eine Sache. Hüten Sie sich vor Ihren Verwandten. Das sind die Leute, die Ihnen in Ihrem Leben am meisten Schwierigkeiten machen . Vishnu ist bei uns, sagte Katinka weiter. Es geht ihm gut. Dann trat sie schnell vom offenen Grab weg, die bohrenden Blicke der Hasseberg-Sippe im Rücken. Sie nickte allen zu. Der berühmte Anwalt starrte sie missmutig an. Seine Tochter sah verheult aus. Der blondgelockte Jüngling versuchte unbeholfen, sie zu trösten. Hassebergs Ex-Frau stand abseits, allein, schluchzend, ein Taschentuch vor das Gesicht gepresst. Niemand von der Familie schien sich für sie zu interessieren. Rasch stellte Katinka sich wieder zu Uttenreuther. Ihr kamen die Tränen, als sie an Idas pfiffiges Grinsen dachte. Wenigstens hat sie alles gelebt, wie sie sagte, dachte
Katinka. Sie fummelte in ihrer Jacke nach einem Taschentuch und wischte sich verschämt die Nase ab. Uttenreuther sah sie so komisch von der Seite an. Vielleicht bin ich mal wieder seine Hauptverdächtige, dachte sie, so wie im Frühsommer, als der Tote in der Uni gefunden wurde. Sie schauderte bei dem Gedanken an ihren ersten Fall vor einem halben Jahr.
Die Trauergesellschaft setzte sich in Marsch.
»Sprechen Sie jetzt mit denen?«
»Überlassen Sie uns nur die Arbeit.«
Katinka verdrehte die Augen. »Ich will Ihren Fall nicht«, sagte sie trotzig.
»Haben Sie sonst irgendwelche Erinnerungen an Schenck?«, wollte Uttenreuther wissen. »Sie wissen doch, alles kann nützlich sein.«
Katinka zuckte die Schultern. »Sie sagte, dass sie Verwandtschaft als Keimzelle allen Übels sieht, aber nichts Konkretes, mit wem sie Schwierigkeiten gehabt hätte. Ich glaube, sie hatte nicht einmal direkt Probleme mit jemandem. Es war für sie nur so ein unbestimmtes Gefühl.«
Hardo sah nicht überzeugt aus.
»Idas Nichte Grit hat für einige Zeit bei ihrer Tante gewohnt, in der
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