Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
darüber.
»Denken Sie nicht, ich saufe. Aber irgendeine Kraftquelle brauche ich jetzt. Ich bin erst vor zwanzig Minuten eingeschlafen. Sie arbeiten wohl immer nur zu den genormten Zeiten, oder?« Sie nahm einen guten Schluck und fischte eine Schachtel Zigaretten vom Büffet. »Also, was wollen Sie zu nachtschlafender Stunde von mir?«
»Sagt Ihnen Frisiersalon Venus was?«
»Ja. Dort lasse ich mir die Haare schneiden. War das alles?« Sie zog tief den Rauch ein. Der Geruch am frühen Morgen hob Katinka den Magen.
»Immer langsam.« Sie griff in die Innentasche ihrer Regenjacke und holte den Flyer hervor. Sie warf ihn auf den Tisch neben ungespülte Kaffeetassen und Brotkrümel. Ungeduldig sah sie Sieglinde ins Gesicht. Sag endlich was, dachte sie wütend.
Sieglinde schwenkte ihren Wodka. Leise klirrten die Eiswürfel, wie feines Glas, das im Schrank vibriert, wenn ein LKW vorbeifährt, dachte Katinka. Sie tippte auf die Zeile mit Sieglindes Namen. Sorry, Mädel, aber technisch bin ich nicht gut ausgestattet . Sieglindes Worte von neulich hallten noch in ihren Ohren.
Mit einem Klack stellte Sieglinde das Glas ab und nahm den Flyer in die Hand.
»Ist gut geworden. Finden Sie nicht?«
»Haben Sie mir nicht erzählt, dass s ie technisch schlecht ausgestattet sind?«
»Das bin ich auch.« Sieglinde grinste breit. »Für meine Zwecke.«
»Sie sind Layouterin?«
»Ich war Reisejournalistin. Wie Ida. Aber meine alten Knochen bewegen sich nicht mehr gerne auf tibetische Gipfel oder zu vergessenen Urwaldvölkern. Wenn ich heute reise, dann auf der Suche nach Luxus. Wissen Sie, was ich absolut liebe? Guten Zimmerservice. Für guten Zimmerservice könnte ich sterben. Also musste ich mir was Neues suchen, um die Finanzen zu sichern. Umsatteln ist ja in meinem Alter noch kein Problem.« Spöttisch verzog sie die Lippen.
»Warum haben Sie mir das nicht erzählt?«
»Sollte ich?« Sieglinde Unruh zog behände die Beine an und umklammerte ihre Knie. Sie wirkte locker und jugendlich. Katinka fuhr sich erschöpft durchs Haar. Ich dagegen bin ein Wrack, dachte sie. Gekapert, ausgeraubt und abgefackelt.
»Sie müssen eins wissen: In Gesprächen aller Art behalte ich die Oberhand. Und nur vor Gericht und auf hoher See … aber den Spruch kennen Sie.«
»… sind wir in Gottes Hand«, vollendete Katinka. »Was sonst haben Sie mir verschwiegen? Umschifft? Weggelassen? Geschönt?«
»Ich habe mich Ihnen gegenüber nicht zu äußern, meine Liebe«, sagte Sieglinde. Sie stand auf. »Meine Arbeit als Layouterin ist mein Brotberuf, beziehungsweise der letzte Ausläufer meines Arbeitslebens. Ich gehe eben nicht in Rente. Nicht so wie die normalen Leute da draußen.« Sie kurbelte mit ihrem Arm. »Im ü brigen«, sagte Sieglinde Unruh und verzog die Lippen, »Sie schippern ja auch nicht immer in der legalen Fahrrinne.«
Katinka schluckte. Der plötzliche Verdacht stieg in ihr hoch wie Sodbrennen: Hatte Sieglinde sie neulich bemerkt, als sie in Idas Arbeitszimmer unter dem Sofa abwartete, dass die beiden anderen Frauen endlich abzogen? Uttenreuthers Worte leuchteten auf wie Leuchtreklame: Überlegen Sie sich mal gut, was Sie wen gefragt haben. Sie haben den Schlüssel zu dem g anzen schon in der Hand . Ich habe nicht unbedingt etwas gefragt, dachte Katinka. Aber wenn Sieglinde sich an fünf Fingern einer Hand ausrechnet, dass ich die Tagebücher, DIE Tagebücher gelesen habe, dann hat sie ein Motiv, mich unschädlich zu machen – sofern sie mit dem Mord zu tun hat … oder davon profitiert. Immerhin erbt sie einen Haufen Geld, womit sie ihre Reisen finanzieren kann.
»Haben Sie mir das Fratzenfoto ans Fenster geklebt?«
»Was für ein Fratzenfoto?«
»Und bei Ida? Das bei Ida an der Haustür?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Sieglinde Unruh trank ihren Wodka aus und stand auf.
»Ich gehe jetzt rüber ins Abseits , frühstücken«, sagte sie. »Allein.«
Sie verließ die Küche.
Katinka sah auf das Glas, in dem die Reste der Eiswürfel zu einer Pfütze verschmolzen. Sie blickte durch die klare Flüssigkeit hindurch. Wo war Sieglinde Unruh am Samstag gewesen?
»Frau Unruh, wo waren Sie eigentlich am Samstagabend?«
Sie trat in den Flur. Sieglinde Unruh stand nackt in ihrem Schlafzimmer. Es kümmerte sie gar nicht, dass die Tür sperrangelweit offen stand. Ungerührt schlüpfte sie in Unterwäsche und Jeans.
»Vor dem Fernseher, mit meinen Stofftieren. Sonst noch Fragen?«
Katinka starrte auf die chaotische
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