Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
Ansammlung Schuhe auf dem Boden. Farbbekleckste Clogs, kniehohe Stiefel. Turnschuhe. Halbwegs schmutzig. Sie spähte ins Schlafzimmer. Sieglinde tauchte in einen schwarzen Rollkragenpulli. Katinka bückte sich, griff nach dem rechten Turnschuh. Nike. Größe 40.
Ihr Herz raste, als sie den Schuh in ihren Rucksack stopfte. Sie fühlte sich, als habe sie Fieber. Schweiß durchtränkte ihre Sachen. Sieglinde Unruh kam heraus, schlüpfte achtlos in die Clogs, nahm ihren Wohnungsschlüssel vom Haken. Katinka umfing ein seltsames Gefühl, als sie vor Sieglinde Unruh die Treppen hinunterging. Jemand hatte zugestoßen, voller Entschiedenheit und Konzentration. Wie ein Karatekämpfer. Das ungute Gefühl in ihrem Nacken nahm zu. Sie fuhr herum. Täuschte sie sich, oder …
»Trainieren Sie eigentlich Kampfkunst, Frau Unruh?«, fragte sie rasch und schluckte das Tremolo in ihrer Stimme weg.
»Nicht die Bohne«, sagte Sieglinde Unruh. »Ich schwöre auf Yoga.«
Sie traten vor die Tür. Katinka atmete auf. Ohne einen Gruß überquerte Sieglinde die Straße und verschwand im Abseits .
Katinka ignorierte den pochenden Schmerz in ihrem Fußgelenk. Sie schwang sich aufs Rad und sauste die Pödeldorfer Straße hinunter, bog ab und stand wenig später vor dem Polizeigebäude. Die meisten kannten sie schon und nickten ihr zu, als sie zu Harduin Uttenreuthers Abteilung marschierte. Sie klopfte.
»Ja!«
»Morgen.«
»Ach, Palfy. Sie sind aber früh unterwegs.«
»Sie auch.«
»In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf.«
Katinka grinste. Sie stellte ihren Rucksack auf Hardos Schreibtisch und zog Sieglindes Schuh heraus. Er pfiff leise durch die Zähne.
»Wo haben Sie den denn her?«
»Er gehört Sieglinde Unruh.«
»Sie sind aber nicht eingebrochen, oder?«
Es sollte sich wohl scherzhaft anhören, aber da lag durchaus Ernst in seinen Worten. Nachdenklich griff er nach dem ausgelatschten Sporttreter.
»Checken Sie das Profil«, bat Katinka. »Die Größe passt. 40. Das Fabrikat auch.«
Uttenreuther suchte eine Akte heraus und blätterte darin herum.
»Nein«, sagte er schließlich. »Stimmt nicht überein.«
Katinka sah auf den Computerausdruck. Ohne großen Vergleich konnte sie erkennen, dass die Schuhe ein völlig unterschiedliches Profil hatten. Enttäuscht ließ sie sich auf den Stuhl vor Hardos Schreibtisch sinken. »Sie kann ja auch noch andere Schuhe besitzen«, sagte sie lahm. »Oder?«
Hardo lächelte. »Ja. Mag sein.«
Katinka atmete tief durch und erzählte Uttenreuther von ihrem Gedankengang. Dass Sieglinde sie womöglich bemerkt hatte, als sie bei Ida im Arbeitszimmer unter der Couch gelegen hatte. Uttenreuther stützte die Ellenbogen auf die Papierhaufen vor sich auf dem Schreibtisch und barg sein Gesicht in den Händen.
»Ich weiß, ich sollte Ihnen ja nicht sagen, woher ich die Tagebücher habe, aber … ja, so könnte Sieglinde mich bemerkt haben.«
Hardo hob den Kopf und sah durch Katinka hindurch. »Mädchen, Mädchen«, war alles, was er sagte. Unruhig wartete Katinka ab. Sie hatte im Umgang mit dem Hauptkommissar gelernt, dass es sinniger war, linke Dinger auf sich beruhen zu lassen und sich nicht zu verteidigen. Das machte es meistens noch schlimmer.
»Palfy, wissen Sie eigentlich, was da draußen los ist?«
»So direkt nicht«, gab Katinka zu.
»Jemand wollte Sie umbringen«, sagte Uttenreuther brutal. »Schon vergessen?«
»Ja, äh … nein.«
»Und um Sie um die Ecke zu bringen, kann man ruhig auf der Nudelsuppe dahergeschwommen sein. So wie Sie durch die Welt walzen …« Er stand auf und spähte in das Büro nebenan. Katinka spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht fiel und in ihren Knien stecken blieb. Sie sah, dass Uttenreuther auf ihre zerschundenen Hände blickte. Schnell schob sie sie unter ihren Rucksack.
»Was haben Sie eigentlich Tom erzählt«, murmelte sie. »Wie es zu der Szenerie auf der Altenburg kam, meine ich.«
»Das ist top secret. Kleine Abmachung zwischen Ihrem Liebsten und mir.« Er schob den Stuhl, auf dem sie saß, mit dem Fuß ein Stück zur Seite und stützte seine massigen Hände auf die Lehnen: »Sie sind in Gefahr, Ka-tinka. Mehr als letzten Sommer bei der Ricingeschichte. Unser jetziger Täter hat was zu verlieren.«
Sein Gesicht schwebte ganz nah vor ihrem. Katinka dachte daran, wie er sie festgehalten hatte, als sie sich übergeben musste. Sie sah seine großen Hände das faulige Laub auf dem Grab seiner Tochter aufklauben. Plötzlich
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