Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
zu. »Machen Sie sich keine Gedanken.«
»Doch«, sagte Katinka. »Immerhin …«
»Klappe!« Er grinste. »Ich möchte nicht noch mal in Gedanken durchspielen, dass Sie die zwanzig Meter heruntergeflattert wären und wir die Reste dann hätten zusammenkratzen müssen. Tatsächlich gehe ich lieber mit Ihnen essen als zu Ihnen auf den Friedhof.«
Sein Tonfall war flapsig, aber Katinka sah das Dunkle in seinen Augen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Tom kam zurück.
»Gehen wir?«
Die kalte Luft tat gut. Katinka ließ sich von Schritt zu Schritt zuversichtlicher mitziehen. Ihr Fuß tat weh, doch es war auszuhalten. Sie würde ihn nachher hochlegen.
Dünn stand der Mond am Himmel. Eigentlich nur ein Streifchen von ihm, ein schmales Stück, wie ein abgeschnittener Fingernagel. Der Wind peitschte Wolken über die Stadt, schnell wie im Zeitraffer. Es wurde kalt in den Nächten. Niemand war unterwegs. Kein Wunder, dass Hardo seine Jacke hatte wiederhaben wollen, dachte Katinka. Sie musste grinsen. Er stapfte vor ihnen her, die Hände tief in die Taschen vergraben. Tom hatte den Arm um Katinka gelegt. Sie war froh drum, wenigstens heute.
Sogar die Altstadt lag wie ausgestorben. Wir müssen uns noch an diesen Wind gewöhnen, dachte Katinka. Sie war froh, zwischen den Häusern die Altenburg nicht sehen zu können. Ohnehin kam die Erinnerung viel zu oft ungebeten angeschwirrt. Nur positiven Input zulassen, mahnte sie sich. Die Autoren von Lebensberatern behaupteten, wer so seine Erlebnisse filterte, würde nur noch positive Dinge erleben. Sie hörte das Plätschern des Leschenbrunnens und wusste nicht recht, ob sie daran glauben sollte. Für einen Moment bremste sie ab. Tom wartete, während sie in die Grube hinunterblickte, wo das Wasser aus der Wand schoss und in das kleine Becken rauschte. Dann schlossen sie schnell auf. Hardo war schon fast am Eingang zur Brasserie . Katinka warf einen letzten Blick auf die Mondsichel. Dann schrak sie zusammen.
»Da ist sie ja«, flüsterte sie. Sie deutete auf die Fassade rechts von ihnen.
»Hm?«, fragte Tom.
»Die Fratze.« Katinka saugte ihre Unterlippe ein und biss so fest darauf, wie sie es gerade noch aushalten konnte. Nur nicht der Panik nachgeben. Nicht jetzt. Dazu war später Zeit.
Sie wies auf die Fassade und sagte:
»Siehst du die Fratze da, die z weite von links?«
Tom blinzelte. Es war ziemlich dunkel, und der zweifellos als Schutzgeist intendierte Zungenstrecker war schwer zu erkennen.
»Hardo?«, rief Katinka.
Uttenreuther, der die Speisekarte studiert hatte, drehte sich um.
»Ich glaube, ich habe die Fratze entdeckt.«
Harduin Uttenreuther kam näher. Er sah an dem Haus hoch.
»Tatsächlich«, sagte er. »Das ist also die Visage, die …«
Er schwieg.
»Erklärt mir auch mal einer was?«, fragte Tom.
»Gleich.« Hardo zückte sein Handy und richtete das Kameraauge auf die Fratze.
»Das wird nichts. Zu dunkel«, wandte Katinka ein.
»Nur als Gedächtnisstütze.«
Er knipste. Katinka verlagerte ihr Gewicht auf den gesunden Fuß. Der Schmerz vom Knöchel fuhr ihr plötzlich durch das Bein hinauf bis zur Hüfte. Sie erinnerte sich an Alina Fabers Adresse. Pfahlplätzchen. Sie sah sich um. Hassebergs Ex-Frau musste gleich hier neben dem Haus zum Krebs wohnen. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Es konnte einfach nur Zufall sein. Weshalb sollte Alina Faber ein Foto dieser Fratze an Idas Tür und das Fenster ihrer Detektei kleben? Nur, weil sie dem Maulaufreißer vermutlich täglich beim Gang aus der Haustür begegnete?
Aber wieso sollte irgendjemand das tun, überlegte Katinka.
Sie hakte sich bei Tom ein und humpelte zur Brasserie hinüber.
Das Lokal war brechend voll. Es wurde irgendein Fußballspiel übertragen. Die Gäste kommentierten lärmend die Vorberichterstattung.
Sie quetschten sich an das obere Ende eines Tisches zu einer Gruppe von Männern in den Zwanzigern, die Bayern-München-Fanschals um ihre Hälse geschlungen hatten und Bierkrüge umklammert hielten.
»Kriegen wir was zu essen?«, signalisierte Tom der Bedienung. »Dreimal Wiener Schnitzel. Und drei Schlenkerla . Ist doch o.k., oder?«
»Sicher«, sagte Hardo.
»Schon«, begann Katinka. »Aber …«
»Das Schnitzel in Wien ist ungeschlagen, das weiß ich, dagegen ist ja nichts einzuwenden. Wenn ich einen Privatjet hätte, würde ich dich direkt zu Figlmüller in die Wollzeile bringen, aber so müssen wir’s halt in Bamberg essen.«
Katinka sah Hardo grinsen. Er blickte
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