Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
liegen, in Matsch und Schlamm. Katinka erreichte sie, keuchend vor Schmerz und Anstrengung.
»Grit!«
Katinka schüttelte sie. Grit blieb liegen. Man hätte sie für tot halten können, wenn nicht ihre Augen wie im Fieber geflackert hätten und ihre panischen Blicke von allen Enden des Friedhofs zu reflektieren schienen. Aus einer der Grabreihen trat ein Mann. Er schwenkte einen Regenschirm. Grit schrie auf.
»Ist was passiert?«
Katinka richtete sich auf und sah den älteren Herrn an, der auf sie zukam. In einer Hand trug er einen Blumenstrauß.
Benedictus qui venit , dachte Katinka. Der Teufel ist er nicht. Christus vielleicht auch nicht.
»Meine Freundin ist gestürzt«, sagte sie. »Ich rufe ein Taxi und bringe sie heim. Könnten Sie mir nur helfen, sie aufzurichten?«
Der Mann nickte schweigend und bückte sich zu Grit hinunter.
»Nein!«, schrie Grit. »Fass mich nicht an!«
»Nur ruhig, junge Frau«, sagte der Mann. Zu Katin-ka gewandt fügte er hinzu: »Beerdigungen sind Ausnahmesituationen. Da machen die Nerven schon mal schlapp.«
Grit strampelte und weinte, aber dann hörten all ihre Bewegungen schlagartig auf. Willenlos ließ sie sich auf die Beine ziehen und schlurfte brav zwischen Katinka und dem anderen bis zum Parkplatz. Katinka rief per Handy ein Taxi.
»Bringen Sie sie besser zum Arzt«, meinte der unbekannte Helfer.
Grit war nass wie ein Schwamm, und der Taxifahrer starrte sie und Katinka übellaunig an, als sie sich auf die Rückbank schoben.
»Lange Straße 15«, sagte Katinka. Dann wählte sie Alina Fabers Nummer.
Grits Mutter kam zeitgleich mit dem Taxi vor Grits Wohnung an. Total aufgelöst riss sie die Taxitür auf.
»Grit, Mädchen!«
Katinka zahlte und legte gutes Trinkgeld drauf. Besänftigt fuhr der Fahrer davon. Alina hielt ihre Tochter im Arm und strich ihr über das nasse Haar.
»Was ist passiert?« Alina wandte sich an Katinka. »Sie ist ja völlig verstört.«
»Ich habe sie auf dem Friedhof aufgegabelt. Vor Sybille Uttenreuthers Grab. Haben Sie einen Zweitschlüssel?«
Alina schüttelte den Kopf. Sie fingerte in Grits Tasche herum und zog einen Schlüsselbund heraus. Gemeinsam halfen sie Grit ins Haus und die Treppen hinauf. Katinka stöhnte vor Schmerz.
»Sie können ja selbst kaum laufen«, sagte Alina verwundert, als sie die Wohnungstür aufschob.
»Hab mir den Knöchel verdreht«, presste Katinka zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Grit fürchtet sich vor jemandem. Einem Mann. Einem ›er‹. Wer sollte das sein?« Der Schweiß brach ihr aus.
»Wir müssen reden«, sagte Alina. »Aber zuerst stecke ich Grit in die Badewanne.«
Katinka sah zu, wie Alina ihre Tochter beinahe ins Badezimmer trug. Ulkig, dachte sie. Meine Mutter hätte mich nicht mal mit der Kneifzange angefasst, wenn ich so verdreckt und nass gewesen wäre wie Grit.
Sie setzte sich aufs Sofa und legte den Fuß hoch. Der Knöchel war dick angeschwollen und heiß. Sie suchte ihr Handy heraus und wählte.
»Uttenreuther?«
»Ich schon wieder.«
»Palfy!« In dem klaren Ton einer Feststellung schwang so etwas wie Überraschung mit.
»Können Sie sofort herkommen?«
Katinka erzählte ihm, wie sie Grit am Friedhof aufgelesen hatte.
»Ich bin gleich da.«
Katinka legte das Handy neben sich ab und lehnte den Kopf an die weiche Sofalehne. Im Zimmer war es kalt. Sie wollte aufstehen und die Heizkörper aufdrehen, aber das stete Pochen in ihrem Knöchel hinderte sie daran. Aus dem Bad kam das Geräusch von fließendem Wasser. Katinka sah sich im Zimmer um. Seit sie Grit zum ersten Mal hier gesehen hatte, hatte sich die Wohnung verändert. Sie war aufgeräumter und wirkte jetzt vollständig eingerichtet. Bunte, fröhliche Stoffe und zwei große Ölbilder tauchten den Raum in ein heimeliges Licht. Ein breites Regal mit Lehrbüchern drin erinnerte an Grits Studium. Katinkas Blick fiel auf die Tür zum Korridor. Dort stand Grits große Umhängetasche. Sie dachte nicht lange nach, stützte sich ab und stand schwankend auf einem Bein. Sie hüpfte zur Tür, fischte den großen braunen Umschlag aus der Tasche und stopfte ihn in ihren Rucksack. Ich werde zum Dieb, dachte sie. Dann hopste sie zum Bad und klopfte vorsichtig an die Tür. »Alles in Ordnung da drin?«
»Kommen Sie rein.«
Alina Faber saß auf dem Badewannenrand. Grit dümpelte im Schaum. Es war heiß im Bad, wie in einer Sauna. Alina hatte die Ärmel hochgekrempelt und wusch ihrer Tochter die Haare. Grit hielt ganz still, sie
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