Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
dass Grit und ihr Vater in eine Beziehung verstrickt sind, die sich zumindest auf seine Tochter ziemlich schlecht auswirkt.«
Katinka sah Hardo zu, wie er die Blätter noch mal durchging. Dann steckte er alles in den Umschlag.
»Woran denken Sie?«, fragte sie.
»An Alina Faber. Haben Sie bemerkt, wie sie mit ihrer Tochter umgeht?«
»Schon. Sehr liebevoll, würde ich sagen.«
»Und damit womöglich eine neue Form von Abhängigkeit und Schuldverstrickung hervorruft.«
»Glauben Sie das wirklich?« Katinka sah ihn aufgeregt an.
»Ja. Nein. Keine Ahnung. Kann sein, dass ich es ihr unterstelle.«
Sie sah den wehmütigen Ausdruck in seinem Gesicht und ahnte, dass er an seine Tochter dachte.
»Wie war Sybille?«, fragte sie.
»Och. Wie jedes kleine Mädchen, jeder Teenager, jede junge Frau. Ein bisschen chaotisch, ungehorsam, gefühlsverwirrt. Sie hatte was von einer Draufgängerin. Genauso wie Sie übrigens. Wenn ich sie nicht noch gewarnt hätte!« Er hieb mit der Faust auf das Lenkrad, dass der Golf erzitterte. »Aber sie hatte diesen neuen Typen gerade erst an Land gezogen. Wie kann einen das Winterwetter von einer heißen Nacht abhalten, selbst wenn Papa es auch noch so drängend versucht. Vor allem, wenn das Glatteis erstmal nur in den Verkehrsdurchsagen existiert.« Wie zur Bestätigung schaltete er das Radio ein. Bayern 4.
Das bevorstehende Fest Allerseelen hat daher in unserer Kultur eine besondere Bedeutung , sagte der Sprecher. Und gerade in der dunklen Jahreszeit, im Kontext des Totensonntags, machen wir Menschen uns Gedanken über die Vergänglichkeit, über Sünde und Schuld .
Katinka verdrehte die Augen. »Sie hatte einen neuen Freund?«
»Einen gewissen Carl. Erst seit wenigen Wochen. Ich freute mich für Sybille, ehrlich. Sie hatte eine ziemlich zerstörerische Trennung hinter sich, und diese neue Beziehung, nun, es schien mir, als … als lebte sie auf. Sie wurde wieder ein fröhlicher Mensch. Carl strich ihr mit scheinbar magischen Kräften die beständigen Sorgenfalten aus dem Gesicht.«
Aus diesem Anlass bringen wir nun die Missa Sanctorum Apostolorum von Pater Valentin Rathgeber in einer Aufnahme aus Kloster Banz .
Ich werd’ nicht mehr, dachte Katinka. Das hat Alina doch vorhin gehört.
»Ich bin heute soweit, mich zu freuen, oder wenigstens dankbar zu sein, dass ihre letzten Lebenstage glücklich waren«, sagte Uttenreuther. Er wandte sich Katinka zu. »Verstehen Sie, dass ich immer noch damit hadere, dass Carl, der Tölpel, in Kaltenbrunn wohnen muss, das macht immerhin fast 30 Kilometer von Bamberg aus. Verstehen Sie das?«
Katinka nickte. »Ich glaube schon.«
Uttenreuther drehte sich weg und starrte aus dem beschlagenen Fenster in die Dämmerung. Er wischte mit den Fingern über die Scheibe und hinterließ ein paar Schlieren.
»Ich hatte nach Sybilles Tod die Hoffnung, meine Frau und ich würden uns wieder ein wenig näher kommen. Wenigstens zu einer freundschaftlichen Basis zurückfinden, in der der Respekt einen Platz hat. Fehlanzeige.«
Katinka sah sein Gesicht, das sich in der handbreit freigewischten Autoscheibe spiegelte. Kyrie eleison . Das ist zum Auswachsen, dachte sie. Sie wollte das Radio ausdrehen, doch sie wagte nicht, sich zu regen.
»Sybille sah grauenvoll aus, als ich sie identifizieren musste. Grauenvoll.« Er kurbelte die Scheibe herunter, und ein feuchtkalter Windstoß fegte herein. Katinka fröstelte. Uttenreuther fuhr sich über die Glatze. »Am meisten habe ich mir Vorwürfe gemacht, sie nicht beschützt zu haben. Genau das schien mir ihr entstelltes Gesicht vorzuhalten. Ich …«
Er schüttelte den Kopf, als müsse er eine Stechmücke vertreiben.
»Fahren wir«, sagte er und ließ den Motor an.
»Wohin?«
»Die Turnschuhe suchen.«
»Aber wo?«
»Bei Hasseberg, würde ich vorschlagen.«
Die Nacht fiel über sie her, als sie von der Schnellstraße nach Stegaurach abbogen.
»Gulag der Juristen und Studienräte«, sagte Hardo und zeigte auf die zahlreichen neu gebauten Häuser.
Crucifixus .
»Darf ich das abschalten?«, fragte Katinka.
»Ja, sicher!« Er drückte selbst auf den Knopf.
»Wo wohnen Sie denn?«
»Da, wo ich meiner Gehaltsklasse zufolge hingehöre.«
Katinka wusste genau, wie Hassebergs Grundstück zu erreichen war, doch Hardo schien sich ebenfalls bestens auszukennen. Er parkte direkt vor dem Gartentor und wies Katinka an, vorerst im Wagen zu bleiben. Dann führte er ein Telefonat mit seinen Kollegen und schwang sich aus dem
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