Frau an Bord (Das Kleeblatt)
fuhren. Es hatte sich im vergangenen Jahr offenbar mehr geändert, als sie vermutet hatte.
Sie fuhr zusammen, als der Kapitän mit einer zackigen Bewegung den Hörer vom Telefon riss und eine Taste des Nummernspeichers drückte. Seine Finger trommelten ungeduldig auf die Tischplatte, bis sich endlich am anderen Ende der Leitung jemand regte.
„Harry , verfluchter Idiot, ich hasse diese bescheuerten Witze, die du in deiner verlausten Faultierfarm mit deinen senilen Mummelgreisen ausheckst!“
Sus anne grinste verstohlen, da sie in dieser Sekunde zumindest eine Gemeinsamkeit mit dem Alten entdeckt hatte, und reckte hinter ihrem Rücken einen Daumen in die Höhe.
„Kannst du elender Hurensohn mir erklären, was dieser Quatsch soll? Ich brauche für morgen einen richtigen Funker und nicht … nicht … so was!“
Da verschlug es ihr glatt die Sprache. Das war ja wohl das Letzte! Dieser Kerl war das Letzte! Wie er dieses Wort ausspuckte! Sie schäumte innerlich vor Wut, während sich ihr Gesicht mit dunklem Rot überzog und sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen verengten. Hatte er gesagt: So was? Dieses absolut unverschämte Ekelpaket sprach immerhin von ihr, von Susanne Reichelt! Aus seinem wirklich süßen Mund hörte es sich dagegen an wie die vorsichtige Umschreibung einer abscheulich glitschigen Kreatur von einem anderen Stern!
„Keine Frau! Keine! Frau! Kapiert? Zumindest nicht dafür.“
Sie musste sich geirrt haben , ganz bestimmt. Oder hielt er allen Ernstes flüchtig inne und begutachtete sie? Musterte sie abschätzig?
„Nicht mal dafür!“
Also, das war eindeutig eine Beleidigung! Nichtsdestotrotz machte sie in Gedanken drei Kreuze.
„Willst du mich verarschen? Dann eben ganz ohne!“, schrie er noch eine Spur lauter in den Telefonhörer, nachdem der Flottenbereichsleiter Harry Pohl den wahrscheinlich zaghaften Versuch einer Rechtfertigung unternommen hatte. Ein Glas auf der Anrichte klirrte.
Ganz ohne sieht er sicherlich besser aus als in gerade diesem Augenblick, in dem er einem Berserker gleicht, sinnierte Susanne und bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Die Adern an den Schläfen des Kapitäns schwollen beängstigend an. Fasziniert beobachtete sie den hämmernden Puls unter der gebräunten Haut. Würde ihm nur Recht geschehen, wenn er an dieser Stelle einen blauen Fleck davon bekäme.
„Du kennst die Regeln auf meinem Schiff! Wann willst du dir das endlich hinter deine dreckigen Löffel schreiben? … Du weißt genau, was ich meine. … Es geht mich einen Scheißdreck an, ob sich Schubi ein Bein gebrochen hat! Ich kenne ihn! Dieser miese Simulant soll mit seinen Händen und Ohren arbeiten, sein Bein interessiert mich einen feuchten Kehricht. Ich brauche ihn spätestens … Sofort! … Na toll, ist dir diese Information durch dein löchriges Hirn entwischt? Eigentlich wollten wir morgen auslaufen. … Natürlich hast du richtig gehört, mein lieber Harry. Wir. Woll-ten. Oder bildest du dir etwa ein, ich mache unter diesen Umständen auch bloß eine einzige Leine los? Was ist übrigens mit unserem Koch? Es hat sich bislang keiner bei mir gemeldet. Und wo bleibt der Bäcker, den du mir schon vor der letzten Fahrt versprochen hast?“
Die Faust des Mannes donnerte auf den Schreibtisch. „Das wird ja immer schöner! Ich sehe, du liebst den Nervenkitzel. Aber nicht mit mir, Junge, das garantiere ich. Sag also besser gleich, wenn du noch mehr Überraschungen auf Lager hältst.“
Urplötzlich zuckte er zurück, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser über den erhitzten Kopf geschüttet. Sein Mund stand offen, weil er offensichtlich etwas sagen wollte, Harry ihm aber das Wort abgeschnitten hatte. Langsam wich ihm alles Blut aus dem Gesicht.
Bravo, Harry! applaudierte Sus anne voll Begeisterung. Weiter so! Hoffentlich gibt es davon einen zweiten Akt. Wie heißt es doch so schön: Wer zuletzt lacht … Oh, wie ich dich von jetzt an lieben werde! Gib ’s diesem arroganten Miststück! Mach ihn richtig fertig!
Während der Alte Harry Pohls beschwichtigenden Erklärungen lauschte, starrte er reglos geradeaus. Er sah regelrecht dramatisch aus, bisschen schwermütig und bis aufs Äußerste angespannt. Die schwarzen Haare standen ihm zu Berge, während er sich mit Daumen und Zeigefinger über das kantige Kinn strich, die vollen Lippen fest zusammengepresst. Verwundert bemerkte Susanne, wie feine Schweißperlen auf seine gefurchte Stirn traten.
Wie hatte es Harry bloß geschafft, den
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